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Quo vadis CSEM? – Interview mit Mario El-Khoury

Seit 25 Jahren steht das CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) im Dienste der Schweizer Industrie, kreiert neue Technologien für Produkte und Verfahren und gibt dieses Wissen an industrielle Partner weiter. Damit funktioniert es als Katalysator für Innovation. Mario El-Khoury ist CEO des CSEM. Elsbeth Heinzelmann hat ihn im Auftrag der «Technischen Rundschau» befragt, wie er die Zukunft des CSEM beurteilt.

Seit einigen Jahren bewegt sich das CSEM weg von einzelnen Bauteilen und konzentriert sich auf raffinierte Systeme. Im Fokus steht der Gesundheitssektor. Mausert sich das CSEM zum Kompetenzzentrum für Medtech?

Mario El-Khoury: Es trifft zu, dass das CSEM immer mehr fortgeschrittene Systeme entwickelt, ohne jedoch die Komponenten zu vernachlässigen. Wir verfolgen zwei Stossrichtungen: einerseits die Technologie, sprich Mikro- und Nanotechnologie, anderseits die Systemintegration. Beide Achsen schaffen Synergien und bilden eine Strategie der Integration komplexer Funktionen, wo das CSEM seine Multidisziplinarität voll ausspielen kann.
Medizintechnik ist ein Schwerpunkt unserer Forschung und Entwicklung. So messen beispielsweise unsere in intelligente T-Shirts integrierten Systeme vitale Parameter wie EKG, den Sauerstoffgehalt im Blut oder den Herzrhythmus. Mit industriellen Partnern entwickeln wir miniaturisierte Sensoren für Biomarker zur Früherkennung von Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Anomalien.


Das CSEM nutzt Think Tanks wie die Institute des ETH-Bereichs und kooperiert mit den Fachhochschulen. Sind weitere Allianzen im wissenschaftlichen Bereich geplant?

Die Zusammenarbeit mit den ETHs und den Fachhochschulen, aber auch mit Instituten wie der Empa und dem Paul Scherrer sind Herzstück unserer Strategie. Wir begannen im Jahr 2001 eine Kooperation mit dem CEA-LETI in Grenoble im Rahmen eines Projekts der Luftfahrtindustrie. Es ist weltweit eines der führenden Forschungsinstitute im Bereich der Mikroelektronik und Mikrotechnologie. Es folgten die Fraunhofer Institute in Deutschland und das VTT Technical Research Centre of Finland. Heute hat die «Heterogenous Technology Alliance» (HTA) Vorzeigecharakter für die Europäische Kommission. Dank dieser Allianz können wir das Image der Schweiz auf internationaler Ebene verstärken.


Mit Brasilien setzte das CSEM den Fuss auf Südamerika. Hat sich dieser Schritt gelohnt?

Ja, die Zusammenarbeit basiert auf einem Win-Win-Modell: Das CSEM do Brazil verschafft sich neue Kompetenzen, komplementär zu jenen des CSEM in der Schweiz. Damit erweitern wir das Angebot des CSEM Schweiz und intensivieren die Handelsbeziehungen zu Brasilien.
Im April 2010 startete ein erstes gemeinsames Projekt im Bereich der Luftfahrt mit dem DCTA (Departamento di Ciência e Tecnologia Aeroespacial). Das CSEM entwickelt mit einem Budget von 1,4 Millionen Franken eine anwendungsspezifische integrierte Schaltung (ASIC) für einen Beschleunigungssensor und bildet Brasilianer in Reinraumtechnologie aus. Das CSEM do Brazil koordiniert das Projekt und hilft Kunden, die zur Produktion nötige Infrastruktur einzurichten.
In der Landwirtschaft geht es um die Überwachung grosser Anbaugebiete mit einem Netzwerk drahtloser Sensoren. Brasilien ist der weltweit bedeutendste Produzent von Kaffee, Zuckerrohr und Orangen, verfügt über den grössten Rinderbestand. Das CSEM do Brazil will den Landwirtschaftssektor mit geeigneten Werkzeugen ausrüsten, um Daten über den Zustand von Agrar- und Waldwirtschaft (Pflanzen und Böden) zu sammeln. Ziel ist es, die Produktionskosten zu senken und höhere Erträge zu erwirtschaften bei gleichzeitig reduzierten Auswirkungen auf die Umwelt.

In den 25 Jahren seines Bestehens gliederte das CSEM mit der Gründung von 30 Start-ups fortwährend eigene Technologien aus. Wächst damit nicht das Risiko einer Aushöhlung eigenen Know-hows?

Wir lassen keine innovative Technologie in der Schublade verstauben, sondern bringen das Wissen mit einer Start-up in den Markt. Bevor wir jedoch ein neues Start-up lancieren, versichern wir uns, dass dessen Aktivitäten nicht jene bestehender Schweizer Unternehmen konkurrieren. Leider mündet nicht jede Innovation in ein erfolgreiches Produkt, da es oft an Unternehmen mangelt, die den Schritt in die Vermarktung wagen. In den kommenden Jahren müssen wir deshalb unsere Prozesse des Technologietransfers optimieren und unsere Partnerschaften mit Schlüsselstellen wie Inkubatoren, Finanzierungsstrukturen, spezialisierte Managementschulen verstärken.

Vermehrt sucht die Schweizer Privatwirtschaft international die besten Köpfe, um konkurrenzfähig zu bleiben. Gab sie 1996 noch 3,55 Mia. Franken für Forschung und Entwicklung im Ausland aus, waren es 2008 schon 22,23 Mia. (Quelle BSF 2010). Springen dem CSEM die Kunden ab?

Das Risiko besteht, doch gehört die Schweiz laut European Innovation Scoreboard 2009 zu den sechs innovativsten Ländern. Dazu trägt das CSEM das Seine bei durch die Verwertung von Forschungsresultaten, welche den Bedürfnissen des Marktes entsprechen. Unsere Konkurrenzfähigkeit zu verbessern bleibt ein primäres Ziel. Dazu nutzen wir vor allem den technologischen Vorsprung, die Flexibilität im Umgang mit unserem geistigen Eigentum und die Professionalität in unserem Handeln unter dem Siegel strikter Vertraulichkeit.

Heute finanziert das CSEM ein Drittel seines Budgets aus Bundesgeldern. Entwickelt sich angesichts knapp werdender öffentlicher Mittel nicht eine gefährliche Situation?

Aber sicher! Alle Organisationen mit einem ähnlichen Funktionsmodell wie dasjenige des CSEM sind auf öffentliche Mittel angewiesen. Das ist auch der Fall in Frankreich (LETI, LITEN), in Holland (TNO), in Belgien (IMEC), in Schweden (ACCREO), in Finnland (VTT), in Deutschland (Fraunhofer) oder in Irland (Tyndall).
Innovation kann nicht stattfinden ohne den effizienten Transfer von der Welt der Forschung in jene der Marktwirtschaft. Dieses Tal zu durchschreiten benötigt geeignete Strukturen, die von einer öffentlichen Finanzierung abhängen. Dies wird sich nicht ändern, im Gegenteil! Die Technologien werden stets komplexer und die nötigen Infrastrukturen, um sie zu entwickeln, sind zusehends aufwendiger.
Diese Innovationskette ist empfindlich und kann bei ungenügender Finanzierung der einen oder anderen Etappe in der Verwertung von Forschungsresultaten zerbrechen.

Der Trend geht Richtung Open Innovation. Die Unternehmen ziehen externe Partner, häufig Kunden und Lieferanten, in den Innovationsprozess ein, um gemeinsam eine höhere Wertschöpfung zu erzielen. Ist dies auch für das CSEM eine Zukunftsoption?

Wenn wir am CSEM von «offener Innovation» sprechen, meinen wir einerseits die Kooperation mit gleichartigen Instituten, anderseits mit Industriellen, ihren Unterlieferanten oder Partnern. Im Bereich der Kooperation sehen wir uns als Vorläufer, da wir stets Partnerschaften auf nationaler und europäischer Ebene initiierten und unterhielten, was unser Spektrum an Kompetenzen erweiterte und uns erlaubte, unsere Kenntnisse und Infrastrukturen zu teilen.
In der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft entscheidet der industrielle Partner über den Grad der Öffnung und die Art und Weise, wie Aspekte der Vertraulichkeit und des geistigen Eigentums sowie die Komplexität multilateraler Beziehungen zu handhaben sind. Wir sind immer dabei, Offenheit zu pflegen, falls wir damit nicht dem Anspruch auf Vertraulichkeit auf industrieller Seite zuwiderlaufen.
www. csem.ch


Zur Dosierung kleinster Flüssigkeitsmengen im Bereich von Attolitern
(10–18 Liter) entstand NADIS (Nanoscale Dispensing). Hier beim Dosieren von Antikörpern auf einem Protein Microarray.
Die vom CSEM realisierte Multi-Parameter-Elektrode erlaubt ein kontinuierliches, unauffälliges und tragbares Überwachungssystem humaner Vitalparameter für Telemedizin, Rehabilitation, Gesundheitspflege, Wellness und Sport, um den Gesundheitszustand des Trägers in Echtzeit zu beurteilen.