chevron_left
chevron_right

Serienfräsen von Dentalteilen in Losgrösse 1

Immer mehr Zahntechniker sind daran interessiert, das Know-how ihrer höchst individuellen Arbeit mit den Vorteilen einer automatisierten, rechnergesteuerten Fertigung zu verbinden. Für den festen individuellen Zahnersatz, der millionenfach nachgefragt wird, lässt sich die Losgrösse 1 wie in einer Serienfertigung automatisch herstellen.

(re) Der Dentalmarkt wächst schnell, weil es der medizinisch-technische Fortschritt ermöglicht, die eigenen Zähne länger zu erhalten. Herkömmliche herausnehmbare Gebissteile werden weniger als früher akzeptiert. Wachstumsfördernd wirkt auch die sich verändernde Alterspyramide. Hinzu kommt der steigende Lebensstandard in China, Indien, Brasilien und Osteuropa. Doch jeder feste Zahnersatz ist und bleibt ein Unikat.
Ein Kenner der Branche ist Sören Hohlbein. Er betreibt ein Labor für ganzheitlichen Zahnersatz und ist gleichzeitig Geschäftsführer der Millhouse GmbH, Hofheim-Wallau (DE), die das fünfachsige CNC-Fräsen von Zahnersatz erfolgreich mitentwickelt und vermarktet. Gefragt nach den Stärken und Alleinstellungsmerkmalen gegenüber dem Wettbewerb, antwortet er: «Wir kommen aus dem Zahntechnikhandwerk und nicht aus der Industrie. Das heisst: Wir sind dicht am Puls des Marktes. Als Unternehmer ist mir bewusst geworden, dass wir wegen der «Manpower» in unserem Zahntechnikerberuf zu einem automatisierten Herstellungsprozess kommen müssen. Ein Zahntechniker stellt mithilfe der Gussformen an einem Tag vielleicht sechs bis acht Zähne her. Durch die Frästechnik mit hohem Automatisierungsgrad, die wir bei Millhouse mit Maschinen von GF AgieCharmilles aufgebaut haben, lassen sich täglich etwa 100 Zähne nach CAD-Daten herstellen. Bei diesem industriell geprägten fertigungstechnischen Prozess kommt es auf das Zusammenspiel von Maschine, Werkzeug, Material und Sintertechnik an, zudem auf eine automatisierte Ablauforganisation, wie sie bei uns mit dem Workflow-Managementsystem CAMFlow V7 gegeben ist.»
Als Materialien für Zahnersatz (Kappen, Kronen, Brücken) werden derzeit Kobalt-Chrom, Titan, Zirkonoxid, Glaskeramik und Hochleistungspolymere verwendet. Maschinenseitig setzt Sören Hohlbein beim Dentalfräsen auf High-End-Technik des Werkzeug- und Formenbaus oder der Präzisionsteilefertigung. Seit mehr als zwei Jahren arbeitet er mit einer industriellen CNC-Fräsmaschine des Typs Mikron HSM 400U von GF AgieCharmilles: «Wir haben seither nicht ein Problem gehabt, das nicht zu lösen war», betont Sören Hohlbein. «Wir kamen nach einer Entwicklung von Sonderwerkzeugen im Zusammenspiel mit der Firma Emuge zu überzeugenden Arbeitsergebnissen hinsichtlich Oberflächengüte, Genauigkeit und Zuverlässigkeit.»
Voraussetzung für diesen Erfolg seien, so Hohlbein, die Stabilität und Dynamik der Fräsmaschinen des genannten Typs. Dies sei auch bei der zweiten Maschine so, einer Mikron HSM 400U LP mit Linearantrieben und «intelligenter» Werkzeugvermessung ITM, die seit mehreren Monaten bei Millhouse arbeitet: «Die Oberflächen am Zahnersatz sind noch besser, als wir sie bisher erreicht haben, und die Maschine läuft aussergewöhnlich ruhig. Die Kombination unserer Werkzeuge und unserer Frässtrategien mit der dynamischen und stabilen Maschine ist das beste System im Markt. Es hat auch die niedrigste Ausfallrate.»

Bedeutung digitaler Verfahren «revolutionär»
Nach Angaben des Maschinenherstellers spielen die genannten Fräsmaschinen ihre grössten Vorteile an schwer zerspanbaren NE-Metallen aus. Um den formgebenden spanenden Fertigungsvorgang CNC-Fräsen richtig einordnen zu können, ist es hilfreich, die gesamte Prozesskette für die Herstellung von Zahnersatz vor Augen zu haben:
Der Zahnarzt macht den Abdruck des Gebisses, der Abdruck wird im Labor in Gips umgesetzt (positives Abbild), das Modell wird im 3D-Scanner zu CAD-Daten digitalisiert und in Form von STL-Files über das Internet weitergeleitet, ein CAD/CAM-System ermöglicht die digitale Herstellung des Zahnersatzes auf einer Werkzeugmaschine.
Bei Millhouse werden die Daten über das Workflow-Managementsystem CAMFlow V7 für die automatisierte Ablauforganisation eingesetzt. Diese reicht vom Laufzettel mit Barcode über die Disposition aller Fertigungsschritte – inklusive der CAD/CAM-Steuerung der Fräsmaschinen und der Nachbearbeitung – bis hin zum Versand mit Lieferschein und zum Fakturamodul mit Zahlungsüberwachung. Wie vom Gesetzgeber verlangt, sind alle Daten über das Versende-Tool Zahnomat 2.0 verschlüsselt, da es einem Dritten nicht möglich sein darf, Patientendaten einzusehen. Zahnomat ist eine Software zur Auftragserfassung und Auftragsverwaltung, die gemeinsam von Millhouse und Mill IT entwickelt wurde.
Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Deutschen Dental-Industrie (VDDI), Martin Rickert, äusserte sich zu digitalen Hightech-Verfahren mit der CAD/CAM-Technik so: «Dieser wissenschaftliche und technologische Fortschritt erfasst heute sämtliche Disziplinen der Zahnheilkunde. Die Bedeutung digitaler Verfahren für die Chancen des Teams aus Zahnarzt und Zahntechniker lässt sich ohne Übertreibung als revolutionär bezeichnen. Den Anwendern stehen heute digitale Methoden zur Verfügung, die eine passgenaue und dabei wirtschaftliche Gestaltung und Herstellung von Kronen- und Brückengerüsten bis hin zu komplexen Implantat-getragenen Suprastrukturen ermöglichen.»
Wer zur Annäherung der Dentaltechnik an industrielle Fertigung nachfragt, stösst bei vielen Zahntechnikern auf Vorbehalte. Das Verständnis vom eigenen anspruchsvollen und vielseitigen Handwerk ist stark verwurzelt, und der CAD/CAM-Weg wird eher von einer Minderheit begrüsst. Existenzsorgen und Ärger mit den Margen sind nicht zu überhören und werden in Branchenforen diskutiert. Ein heisses Thema sind 3D-Scanner, vor allem die noch in der Entwicklung befindlichen Intraoralscanner (Mundscanner). Bei einem stationären opto-elektronischen 3D-Scanner wird das Gipsmodell abgetastet und digitalisiert. Es entstehen STL-Daten. Ein Mundscanner, hingegen, wird vom Zahnarzt per Hand im Mund des Patienten geführt, und ein Gipsmodell erübrigt sich.

Rund um die Uhr im Fertigungseinsatz
Für Bezugslinien, Koordinaten, Orientierungspunkte, die die genaue Lage eines Bereichs oder einer Position im Kieferbogen definieren, sind zusätzliche Sensoren im Griff des Mundscanners zuständig. Die Zfx GmbH, Dachau (DE), vertreibt beide Arten von Scannern und wirbt mit den «Vorteilen eines dentalen Kompetenznetzwerks». Millhouse bietet einen Service für Labors an, die noch keinen eigenen Scanner haben.
Anlässlich der 34. Internationalen Dental-Schau (IDS) in Köln, an der fast 2000 Anbieter und rund 115 000 Besucher vertreten waren, präsentierten GF AgieCharmilles und Millhouse eine Steigerung der Automation. Die Firma Open Mind Technologies, mit deren offenem Programmiersystem HyperDent bei Millhouse gearbeitet wird, zeigte eine vollständig automatisierte Fertigungszelle für individuellen Zahnersatz, deren Kern eine Mikron HSM 400U LP bildet. Einbezogen sind Hard- und Software von System 3R, Robotec Solutions und Open Mind. Das Magazin besitzt 22 Ablagen für Rohlteile mit Scheibendurchmesser 110 mm (GPS 120) und 273 Plätze für Auffangschalen für fertig gefräste Zahnteile. Im Magazin steht ein Roboter, der das Rohteil vor dem Fräsen in den Arbeitsraum der Maschine befördert, danach eine codierte Auffangschale unter den Fräs-Abtrennvorgang hält und den Zahnersatz, zum Beispiel eine dreigliedrige Zahnbrücke, im Magazin ablegt. Zugleich wird ein Sticker für diese Ablage ausgedruckt.
Thomas Wengi von GF AgieCharmilles merkt an: «Es ist ganz wichtig, dass wir mit dieser Zelle individuelle Automationslösungen anbieten können und dabei sehr flexibel sind. Der sechsachsige Roboter von Fanuc bedient unsere Maschine und das Regal und sorgt für eine unterbrechungsfreie «Rund um die Uhr»-Produktion.»
Die befragten Besucher der IDS 2011 zeigten sich von der Fertigungszelle angetan: «Ich staune über die Präzision der Technik und die Produktivität, die mittlerweile möglich ist», bekundete beispielsweise der Zahnarzt Berthold Kappek. «Ich kann mir vorstellen, dass ich bei der Firma Millhouse etwas fertigen lasse.» Und Jochen Roestel, Leitender Ingenieur Entwicklung bei der brasilianischen Firma Conexao, sagte: «Wir stellen Zahnimplantate, Aufbaugerüste und auch «Käppchen» her. Wir haben investiert und werden weiter investieren, denn wir bekommen grössere Aufträge. Eine Fertigungszelle ist interessant, weil sie eine andere Produktionsfähigkeit als ein Tischgerät hat.»
www.gfac.com
www.millhouse.de
www.openmind-tech.com