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Schlaue Werkstoffe kommen

Blitzschnell, flexibel und selbstständig passen sich «Smart Materials» an wechselnde Bedingungen an. Die Fraunhofer-Allianz Adaptronik will gemeinsam mit Industriepartnern noch mehr Schwung in die Entwicklung neuer Produkte bringen.

TIM SCHRÖDER -- Ein Motor kann noch so leise schnurren, wenn ein Auto über einen rauen Strassenbelag fährt, versteht man drinnen kaum ein Wort. Fraunhofer-Forscher wollen nun gemeinsam mit der Industrie dem Auto das Dröhnen abgewöhnen, indem sie die Erschütterungen von Reifen, Fahrwerk oder Motors vom Rest des Autos entkoppeln. Sie greifen zu Piezo-Keramiken, einem besonderen Material, das einerseits Erschütterungen in elektrische Energie und andererseits elektrische Energie in Bewegung umwandelt.
Piezo-Keramiken zählen zu den «Smart Materials» und passen ihre Eigenschaften der Situation an. Schon seit einigen Jahren schwärmen Forscher von diesen intelligenten Werkstoffen. Von einigen Ausnahmen abgesehen, blieb der grosse Durchbruch bislang aber aus, denn «smartes» Material allein genügt nicht. Eine ganze Menge Know-how ist zusätzlich nötig: Berechnungs- und Konstruktionsverfahren müssen angepasst, Bauteile und Elektronik entwickelt oder Sensoren und andere Komponenten geschickt verknüpft werden. Die Herausforderung besteht darin, ein Gesamtsystem zu entwickeln, das sich anpassen kann – ein sogenanntes «adaptronisches System».

Autos werden leise
Um gute Ideen schneller zum Praxiseinsatz zu bringen, hat die Fraunhofer-Gesellschaft das Wissen vieler Spezialisten aus verschiedenen Instituten in der «Fraunhofer-Allianz Adaptronik» gebündelt. Darin entwickeln die Experten verschiedene adaptronische Systeme aus Piezo-Keramiken und anderen intelligenten Materialien bis hin zum Prototypen oder sogar Vorserienmodell. «Je nach Projekt und Schwerpunkt arbeiten verschiedene Institute und Industriepartner zusammen», sagt der Leiter der Allianz, Tobias Melz vom Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF.
Um den Lärm im Auto zu dämpfen, kooperieren die LBF-Forscher unter anderem mit VW. An einem Passat testen sie Piezo-Lager, die zwischen dem Fahrgestell und einem daraufsitzenden Metallrahmen der Karosserie befestigt sind. Die Piezo-Lager werden exakt so angesteuert, dass sie sich den Vibrationen entgegenstemmen. Damit neutralisieren sie die Erschütterungen.
Die Piezo-Bauelemente müssen extrem genau mit der erforderlichen Kraft arbeiten. Dafür haben die Forscher eine ausgefeilte Steuerungs- und Verstärkerelektronik entwickelt. «Solche Systeme eignen sich auch sehr gut für andere Motoren und Maschinen sowie für Anwendungen, bei denen es auf höchste Präzision ankommt», sagt Melz, «beispielsweise erschütterungsfreie Lagerungen für Mikroskope oder laseroptische Systeme.»

Spiel mit Flüssigkeiten
Die Allianz beschäftigt sich auch mit «magnetorheologischen Flüssigkeiten» (MRF), die magnetische Partikel enthalten. Setzt man diese einem Magnetfeld aus, ordnen sich die Partikel kettenartig an und die Flüssigkeit wird zäh oder erstarrt. Man kann das Fliessverhalten einer MRF präzise steuern, indem man das Magnetfeld verändert. Das macht die MRF zum idealen adaptronischen Werkzeug. Die Fraunhofer-Forscher überführen derzeit ein neues MRF-Prinzip – eine magnetorheologische Sicherheitskupplung – in ein marktreifes Produkt.
Das neue Kupplungsprinzip eignet sich für viele technische Anwendungen, bei denen Motoren mit hoher Drehzahl eingesetzt werden – zum Beispiel für Werkzeugmaschinen. Im Notfall trennt die Kupplung in Millisekunden automatisch den Antriebsstrang von der Wirkstelle. Das Funktionsprinzip ist einfach: An der Kupplungsstelle umschliessen sich Antrieb und Abtrieb ähnlich dem Kopf und der Pfanne eines Gelenks. Der Spalt zwischen den beiden ist mit MRF gefüllt. Legt man ein Magnetfeld an, erstarrt die Flüssigkeit, sodass Antrieb und Abtrieb fest verbunden sind. Im Notfall wird das Magnetfeld abgeschaltet, die MRF verflüssigt sich, Antrieb und Abtrieb gleiten im Spalt aneinander vorbei.

Energie ernten
Vier Institute der Fraunhofer-Allianz und mehrere Firmen beschäftigen sich im Verbundprojekt «PiezoEn» mit der zweiten Seite der Piezo-Technik, der Umwandlung von mechanischer in elektrische Energie. Verformt man eine Piezo-Keramik, entsteht eine elektrische Spannung. Fachleute bezeichnen das als «Energy Harvesting», also Energieernten.
In PiezoEn arbeiten die Forscher beispielsweise an Sensoren zur Überwachung von Bauwerken. Risse und Schäden sollen so rechtzeitig detektiert werden. Montiert man die Piezo-Keramiken geschickt im Bauwerk, zum Beispiel in einer Brücke, können durch Autos oder Winde verursachte Bauwerksschwingungen die Harvester mit Energie versorgen. Diese wäre ausreichend, um ein Funksignal an eine Leitstelle zu senden.

Grosse Zukunft in Sicht
Experten erwarten, dass in den kommenden Jahren weitere Produkte mit «smarten» Materialien auf den Markt kommen. Der Bedarf steigt, insbesondere in den Bereichen Leichtbau, Elektromobilität und Ressourcenschonung. Melz: «Die Technik ist so weit. Es wird an spannenden Lösungen gearbeitet, vom Maschinenbau bis zum Konsumgütermarkt.»

www.adaptronik.fraunhofer.de
Quelle: weiter.vorn, Das Fraunhofer-Magazin, Fraunhofer-Gesellschaft, DE-80686 München

*Tim Schröder ist redaktioneller Mitarbeiter «weiter.vorn»