chevron_left
chevron_right

MaCH2: Entdeckungsreise ins Herz der Werkstoffe

Welche Eigenschaften ein Werkstoff bietet, ist wesentlich durch physikalische und chemische Zustände an der Grenzfläche zwischen innen und aussen geprägt. Diesbezügliche Analysen sind aber aufwendig und teuer. Darum will das Netzwerk MaCH2 Schweizer Firmen helfen, sich mit Spezialisten zu vernetzen und bestehende Laborinfrastrukturen zu nutzen.

ELSBETH HEINZELMANN -- Die Überraschung war perfekt, als die Doktorandin Ghim Wie Ho an der Cambridge Universität Methangas über Siliziumkarbiddrähte leitete und dank Oxidation Nanoblüten hervorzauberte. Solche Nanostrukturen bieten die Basis für wasserabstossende Beschichtungen und könnten als Ausgangsmaterial für neuartige Solarzellen dienen.

Von Nanoblüte zu Nanobeschichtung
Voraussetzung für solche Entdeckungen sind hochmoderne Instrumente, wie sie im Projekt MaCH2 (MAterials CHaracterization) geboten werden (http://mach2.ccmx.ch). Die Forschungsinstitute stellen Interessenten aus Industrie und Akademie ihre Laborinfrastruktur und ihr Expertenwissen zur Verfügung und führen für sie komplexe Materialcharakterisierungen durch.
Ein Beispiel dafür ist das Zentrum für Elektronenmikroskopie der Empa in Dübendorf (www.empa.ch). Die Empa-Equipe erforscht neue Elektronenmikroskopietechniken im Bereich der Materialwissenschaften und berät Wissenschaftler und Industriepartner im Einsatz von Elektronenmikroskopen. In einem gemeinsamen Projekt mit der Universität Basel und dem Empa-Labor für Hochleistungskeramik untersuchen sie Verhaltensweisen funktioneller Nanobeschichtungen anhand der Nanoblüten. Zusammen mit dem Department Materialwissenschaft der ETHZ sowie Wissenschaftlern in Antwerpen und Grossbritannien untersucht das Empa-Team die Molekularstruktur neuartiger Polymere sowie die auf Atomebene wirksamen Mechanismen, die für die aussergewöhnlich hohe Leitfähigkeit komplexer Ionenleiter vom Perovskit-Typ verantwortlich sind. Solche Ionenleiter eignen sich für den Einsatz in Batterien.

Struktur und Funktion – eng liiert
Analysiert werden Nanopartikel auch mithilfe der Elektronentomographie. «Dieses Verfahren eignet sich besonders zur exakten Vermessung der dreidimensionalen Form von Nano-Objekten», erklärt Rolf Erni. «Während das Objekt im Mikroskop gekippt wird, bildet das Gerät den Vorgang in einer Serie von Einzelaufnahmen ab. Anschliessend werden diese zweidimensionalen Projektionen zu einem dreidimensionalen Bild verarbeitet.» Der Gruppe gelang eine bahnbrechende Weiterentwicklung dieser Technik, indem sie Nanoteilchen mit atomarer Auflösung dreidimensional abbildete.
Auf dem Gebiet der kohlenstoffbasierten Nanomaterialien beschäftigen sich die Forscher im COST-Projekt «NanoTP» mit den komplexen Schnittstellen der neuartigen, in elektronischen Geräten integrierten Kohlenstoffnanoröhrchen. Mit Kollegen am Karlsruher Institut für Technologie prüfen sie neue Wege für die Graphensynthese. Graphen ist ein einzigartiges Material aus Kohlenstoffatomen, die sich zu extrem flachen, nur einem Atom dicken Wabenstrukturen formieren. Diese Untersuchungen gehören derzeit zu den attraktivsten Forschungsfeldern der Festkörperphysik. Die Elektronenmikroskopie hat ihren Preis: Sie setzt entsprechende Räumlichkeiten und eine sorgfältige Vorbereitung der Proben voraus, aber sie ist unverzichtbar, wenn es darum geht, Feinstrukturen abzubilden, das Atomgerüst von Feststoffen freizulegen sowie einzelne Moleküle in ihrem Kontext aufzufinden. Sie offenbart die Beziehung zwischen Materialstruktur und -funktion. Die Informationen, die eine elektronenmikroskopische Untersuchung liefert, lohnen in jedem Fall den Aufwand und liefern nicht selten die Lösung für materialwissenschaftliche Probleme.

Analytische Methoden im Fokus
Das interdisziplinäre Zentrum für Elektronenmikroskopie der EPFL (http://cime.epfl.ch/) bietet Hochschulen und Industriepartnern hochmoderne analytische Verfahren. Dazu stehen dem Team um Professor Cécile Hébert modernste Techniken wie die Rasterelektronenmikroskopie, die Transmissionselektronenmikroskopie und die damit verbundenen Elektronen- und Röntgenspektroskopietechniken zur Verfügung. Für Oberflächenuntersuchungen kommen die Röntgen-Photoelektronen- sowie die Auger-Elektronenspektroskopie zum Einsatz. Weltweite Anerkennung fand die Equipe dank 3D-Volumenrekonstruktionen mit dem Einsatz eines Ionenstrahls (Focused Ion Beam) in Kombination mit hochauflösender Rasterelektronenmikroskopie und Röntgenspektroskopie. Während ein fein fokussierter Ionenstrahl die Probe Schicht für Schicht mit einer Präzision von wenigen Nanometern abätzt, werden von der Schichtfläche mit dem Elektronenstrahl ein Bild und eine chemische
Analyse erstellt. Hunderte bis Tausende solcher Aufnahmen lassen sich direkt zu einem Tomogramm (Nano-Tomographie) vereinen. Mit modernster Bild- und Datenverarbeitung sind strukturelle und chemische Informationen in drei Dimensionen mit einer Nanometerauflösung zu erzielen. Ein Beispiel zeigt die Mikrostruktur einer Schweissstelle zwischen einer NiTi-Legierung und Edelstahl. Das Elektronenmikroskopiezentrum deckt auch die Bedürfnisse der EPFL im Life-Science-Bereich ab. Dadurch entstanden Synergien, welche die Charakterisierung von biokompatiblen und bioaktiven Materialien mit den modernsten Untersuchungsmethoden organischer und anorganischer Elektronenmikroskopie ermöglichen.
Für Oberflächen- und Dünnschichtanalysen stehen Auger-Elektronen- und Röntgen-Photoelektronen-Spektrometer zur Verfügung. Sie ermöglichen eine chemische Analyse der nur wenige Nanometer dicken, obersten monomolekularen Schichten und liefern Informationen über den chemischen oder elektronischen Zustand der einzelnen Elemente wie der Bindungsumgebung oder der Oxidationsstufen. Für die Elementtiefenprofilierung bietet sich zudem das Ionenstrahl-Sputterverfahren an.
Die Wissenschaftler des CIME führen auch mit Industriepartnern gemeinsame Projekte durch. So untersuchen sie beispielsweise die Fest-flüssig-Interdiffusion, auch SLID-Prozess genannt, um hermetische Dichtungen zu entwickeln. Ziel ist die Verbesserung von Konstruktion und Produktion winzig kleiner medizinischer Geräte, die vor allem bei Interventionen in Blutgefässen des Gehirns zum Einsatz kommen.

Im Reich der Mikro- und Nanoskopie
Die von Massoud Dadras geleitete Abteilung für Mikroskopie und Nanoskopie am CSEM (www.csem.ch) bietet hoch spezialisierte Mikroskope für komplexe Untersuchungen. Erforscht werden vor allem Mikrostrukturen und die Beziehungen zwischen Strukturen und Eigenschaften der Materialien. Im Fokus steht die Optimierung von Dünnschichten. Interessant ist das konfokale Lichtmikroskop, das dank seiner speziellen Konstruktion optische Querschnitte von transparenten oder reflektierenden Proben erzeugt. Es eignet sich unter anderem zur Untersuchung von Polymeren, organischen Materialien, Textil- und Faserproben.
Mit dem atmosphärischen Rasterelektronenmikroskop nutzen CSEM-Kunden das effizienteste Analyse-Tool, das der Wissenschaft derzeit zur Verfügung steht. Unter Einsatz von Sekundärelektronen liefert es hochauflösende Bilder bei hohem Druck (10 torr) und Probentemperaturen bis zu 1000 °C. So lassen sich selbst nasse, ölige, verschmutzte, ausgasende oder nichtleitende Proben in ihrer nativen Umgebung vorbereiten, modifizieren und untersuchen. Die Abbildung der Proben erfolgt in einer Auflösung bis zu 2 nm.
Hochauflösende Bilder und Spektroskopien sind die Spezialität des Transmissionselektronenmikroskops, das mit bis zu 200 kV arbeitet und bei ultradünnen Schichten eine Auflösung von 0,14 nm erzielt. Ausser dem Absorptionskontrastverfahren, das für nichtkristalline Proben, beispielsweise im Bereich Polymere oder Life Sciences, Verwendung findet, steht das Diffraktionskontrastverfahren zur Verfügung. Damit lassen sich Defekte, Verschiebungen, Körnungen und Korngrenzen in kristallinen Proben feststellen. Montiert man energiedispersive Röntgenspektrometer auf dem Mikroskop, liefert dieses zusätzliche Informationen zur chemischen Zusammensetzung der Probe. Gilt es, die Oberflächentopographie und die Rauheit einer Probe zu charakterisieren, kommt das Rasterkraftmikroskop zum Einsatz. Es eignet sich auch vorzüglich für die Untersuchung der Kristallstruktur oxidierender Zirkonlegierungen. Die Aufwachsrate von Zirkon hängt von der kristallographischen Orientierung des Materials ab.
Mithilfe des AFM konnten die Wissenschaftler die Beziehung zwischen kristallographischer Orientierung und Aufwachsen der Oxidschicht in der Frühphase der Zirkonoxidation untersuchen. Das Beugungsmuster der rückgestreuten Elektronen und das dazugehörige AFM-Bild zeigen, dass nach der Wärmebehandlung zwischen den Körnern Höhenunterschiede bestehen. Diese vor der Oxidation vorhandenen Höhenunterschiede könnten mit dem Vorbereiten und dem Elektropolieren zusammenhängen. Die Beobachtung bestätigt, dass im vielkristallinen Zirkon Körner mit einer Orientierung um 0001 schneller oxidieren als Körner mit einer Orientierung um 0-111.

Von biologischen Systemen zu Festkörpern
Das Department Elektronenmikroskopie der ETH Zürich (www.emez.ethz.ch/equipment) ist eine zentrale, anwendungsorientierte, interdisziplinäre Forschungs- und Dienstleistungsinstitution, die mithilfe von Elektronenmikroskopen und Mikroanalyse-Instrumenten die Beziehung zwischen Strukturen und Funktionen in biologischen Systemen sowie das Verhältnis zwischen Strukturen und Eigenschaften von Festkörpern untersucht. Ziel ist die Charakterisierung sowohl von Menschen erzeugter als auch natürlicher Materialien und organischer Proben auf der Mikro- und Nanoskala. Das Institut verfügt über Expertenwissen in der Probenvorbereitung, in der Beobachtung unter Einsatz von Elektronen- und Ionenstrahlen sowie in der Analyse und Auslegung der Daten. Sämtliche forschungsrelevanten Materialien lassen sich von der Atom- bis zur Mikroskala untersuchen.
Die Elektronenmikroskopie lässt sich zur Analyse keramischer Werkstoffe, Metalle, Halbleiter, organischer Materialien und Baustoffe einsetzen. Interessant ist die Vielfalt der verfügbaren Auflösungen für die Abbildung ausgewählter Bereiche: Sie erstreckt sich vom Millimeterbereich über Subnanometer bis zur Ebene der Atome. Darüber hinaus kann ein- und dieselbe Probe mit unterschiedlichen Techniken analysiert werden, die einander ergänzende Daten liefern. Die Kombination morphologischer, chemischer und kristallographischer Daten einer bestimmten Probenregion und die hohe Auflösung ermöglichen umfassende Erkenntnisse über Materialien. Um die Proben in einem möglichst nativen Zustand untersuchen zu können, verfügt das Institut über Techniken zur Probenpräparation. Eines der Kernanliegen ist es, Schnittstellen zu unterschiedlichen Bildgebungsverfahren zu schaffen. Ein Beispiel dafür sind die im Paul Scherrer Institut eingerichtete Nanotomographie und die unterschiedlichen lichtmikroskopischen Verfahren des Lichtmikroskopiezentrums der ETHZ. Ausserdem verfolgt das Institut mit dem Atomsondensystem einen neuen Ansatz in der hochauflösenden Massenspektroskopie.
Ob ein Industriepartner nach einem Experten oder einem speziellen Gerät Ausschau hält, die Anschaffung eines Instruments plant oder seine Apparaturen ausgefallen sind oder ein Wissenschaftler nach einer speziellen Laborausrüstung sucht: Das MaCH2-Netzwerk ist in verschiedensten Situationen nützlich. Vor allem erleichtert es, die richtige Ansprechperson und die nötige Infrastruktur für innovative Entwicklungen zu finden.
http://mach2.ccmx.ch
www.empa.ch
http://cime.epfl.ch/
www.csem.ch
www.emez.ethz.ch/equipment

Das Glossar, das die verschiedenen Techniken beschreibt, ist unter www.ccmx.ch/index.php?id=350 verfügbar.