chevron_left
chevron_right

Der gemeinsame Nenner der zwei Roboterwelten

Was haben pfeilschnelle Industrieroboter und Robotermännchen wie der jüngst in Zürich präsentierte, gemütliche humanoide Roboy gemeinsam? Und wie kann die Industrierobotik von den Humanoiden profitieren? Die TR befragte am Weltkongress «Robots on Tour» in Zürich vier Experten.

In der Robotik existieren zwei Welten: Diejenige der Industrieroboter und – der Rest. In diesem tummeln sich all die Roboter, die als Filmhelden oder Schreckgespenster in den Hirnen der Normalbürger herumspuken.
Diese Bilder orientieren sich meist an Vorlagen aus Hollywood und weisen eine menschenähnliche Form auf. Deshalb heissen sie auch humanoide Roboter. In der Regel können sie kommunizieren, sich fortbewegen, aber nicht wirkliche Arbeit verrichten.
Solche Roboter entlocken dem Roboticspezialisten aus der Industrie ein Lächeln, weil seine Roboterwelt geprägt ist von ungemein leistungsfähigen Maschinen, die ausschliesslich die Effizienz einer Produktionsstätte erhöhen sollen. Sie können teils mit zentnerschweren Nutzlasten in nicht nachlassender hoher Präzision so blitzschnelle Bewegungen ausführen, dass es für den Bediener tödlich wäre, sich in die Reichweite dieser Arme zu begeben. Denn eines können diese allzeit bereiten Maschinen bis heute nicht: in ihrem programmierten Prozess nicht programmierten Hindernissen ausweichen. In diesem Punkt sind humanoide Roboter der Industriefraktion weit voraus.
Deshalb war die Präsentation des Humanoiden «Roboy» in Zürich (siehe Kasten) vor ein paar Wochen für die TR der Anlass, sich unter den Spezialisten der Disziplin umzuhören, wo ihre Welt die Industrierobotik weiterbringen könnte. Wir sprachen darüber mit dem Leiter des Labors für künstliche Intelligenz, «AI Lab», der Universität Zürich, Professor Rolf Pfeifer, der seit Jahren die Roboterforschung weltweit mitprägt. Mit Maschineningenieur Adrian Burri ist einer der führenden Köpfe beim Bau von Roboy dabei und mit Kianoush Nazarpour der Oberingenieur des englischen Herstellers von Hand- und Armprothesen, «Touch Bionics». Der Vierte des Quartetts ist Oskar von Stryk, der als Professor für Computerwissenschaften an der TU Darmstadt lehrt und dessen Institut an der «Robots on Tour» einen Greifarm demonstrierte, der Kollisionen weich abfängt.
Von Stryk lieferte zusätzlich eine profunde Analyse der gegenwärtigen Situation auf dem Robotermarkt. Er konstatiert, dass die konventionelle Industrierobotik trotz des Absatzrekordjahrs 2011 momentan an Grenzen stösst. «Der hohe Einrichtungsaufwand für Programmierung und Sicherheitseinhausungen konventioneller Roboter mit starren Gliedern und Gelenken ist vor allem für Grossserienproduktionen rentabel. Deren Wachstumsbereiche sind jedoch vielfach ausgereizt.» Seit Jahren werde dagegen ein grosser Automatisierungsbedarf bei kleinen und mittleren Unternehmen in Produktions- und Handhabungsprozessen mit kleinen und mittleren Stückzahlen gesehen. Diese Anwendungen erfordern jedoch eine hohe Flexibilität der eingesetzten Roboter. «Diese müssen einerseits schnell für neue Aufgaben durch möglichst intuitive Bedienung re-programmiert werden können. Andererseits müssen hohe Sicherheitsanforderungen beim Einsatz im Umfeld menschlicher Arbeitskräfte erfüllt werden.»
Um schwere Lasten schnell mit hoher Genauigkeit bewegen zu können, sind konventionelle Roboter unnachgiebig konstruiert und bilden so ein hohes Gefährdungspotenzial. Von Stryk erklärt seinen Lösungsansatz so: «Mithilfe von komplexer Sensorik wird versucht, Robotern die Wahrnehmung der Umgebung beizubringen. Auch die Entwicklung neuer Roboterarme mit sogenannten serienelastischen Gelenkantrieben soll helfen. Bei diesen wird Gelenkelastizität, die in der Industrierobotik seit fünfzig Jahren mit hohem Aufwand möglichst reduziert wurde, gezielt konstruktiv eingesetzt, um Vorteile wie verzögerungsfreie Reaktion bei Kollisionen oder Rekuperation von Bewegungsenergie bei Abbremsvorgängen zu erzielen.»•
Die Antworten der Experten auf unsere Fragen lesen Sie auf den nächsten Seiten.
Markus Schmid

Artificial Intelligence Laboratory
8050 Zürich, Tel. 044 635 43 58
www.ifi.uzh.ch/ailab/robots

Novum: Die Grossen der Industrierobotik entwickeln ebenfalls mobile Roboterarme, mit ganz anderem Aufwand als bei den Humanoiden.


Roboy
Roboy ist eine Entwicklung des Labors für künstliche Intelligenz, «AI Lab», der Universität Zürich. Er misst 130 cm, kann greifen, sprechen und Gesichter erkennen. Seine Struktur und Mechanik ist der Architektur des menschlichen Körpers nachempfunden. Am Innenskelett befestigte Elektromotoren wirken als Muskeln und bewegen über Sehnenfäden die Hebel. Das 40-köpfige Team um Rolf Pfeifer, Direktor des AI Lab und einer der Doyens in der Roboterforschung, entschloss sich im Mai 2012, einen Roboter von Grund auf neu zu entwickeln. Anlass war der 25. Geburtstag des AI Lab. «Roboy» wurde am 9. März am Weltkongress der humanoiden Roboter, «Robots on Tour», in Zürich vorgestellt.


«In der Industrie bringt schon ein Arm, der etwas gelernt hat, Nutzen.»
Vorangehend haben wir grob die Gegensätze zwischen Industrierobotern und Humanoiden skizziert. Hier erklären Experten den Nutzen Letzterer für die Industrie.


Fragen an Rolf Pfeifer, Professor für Computerwissenschaften am Institut für Informationstechnologie der Universität Zürich und Direktor des AI-Labors

Welches sind die aktuellen Themen in der Robotik?
Der Roboter wird nicht mehr als einzelne Maschinen gesehen, sondern immer im Verbund. Er wird in einem Netzwerk kommunizieren, mit anderen Robotern einerseits, mit dem Menschen andrerseits, aber auch mit einer intelligenten Umwelt, einem Raum, Haus oder der intelligenten Stadt. Der Roboter wird zum vernetzten Element in diesem System.

Wie sehen die Trends der Zukunft in der Robotik aus?

Man wird Roboter nicht mehr klassisch programmieren, sondern durch «learning by demonstration», also indem man die Bewegung vorzeigt, beispielsweise den Roboterarm von Hand führt. So können ihm auch Anwender ohne Programmierwissen die Bewegung beibringen. Das ist auch für die Industrie ein Thema. Denn: Wenn man so etwas hätte wie künstliche Haut mit der Sensordichte von Menschenhaut, wäre das ein Quantensprung in der Sensorrobotik. Weil dann die ganze Oberfläche «fühlt». Der Roboter könnte so selbst sein Körperschema lernen.

Wie können humanoide Roboter der Industrierobotik Nutzen bringen?

Die Mensch-Roboter-Kooperation wird in Zukunft ins Zentrum rücken, wenn man komplexere Aufgaben automatisieren oder teilautomatisieren will. Das ist entscheidend, wenn man immer kleinere Losgrössen bearbeiten will. Darum ist das Lernen durch Vorzeigen auch so wichtig. Der humanoide Roboter als Ganzes ist zwar nicht sinnvoll im industriellen Umfeld, aber wenn er lernfähig ist, kann ich ihn die Prinzipien der Interaktion lehren, dann reicht mir für den Einsatz in der Industrie ein Arm, der das gelernt hat.

Welches ist der wichtigste Stimulus zwischen der Industrierobotik und den humanoiden Robotern?

Ich kann mir vorstellen, dass die Industrie von der humanoiden Seite lernen könnte. was die Manipulationsfähigkeit angeht.

Welches ist der wichtigste einschränkende Faktor, wo «klemmt» es bei der Entwicklung?

Manchmal ist es das Menschsein. Die Tatsache, dass der Mensch in seinem Körper irgendetwas so macht, wie er es schon immer machte, heisst noch nicht, dass das die intelligenteste Art ist, wie man diese Tätigkeit erledigen kann. Um optimale Lösungen zu finden, muss man sich im Kopf zeitweise frei machen von diesen Bewegungsmustern.

Joker: Was möchten Sie loswerden?

Zur Ausbildung: Die Schweiz ist gut positioniert, wir haben jetzt das nationale Kompetenzzentrum für Robotik NCCR. Dessen Ziel ist es, die Ausbildung in diesem Gebiet zu pushen. Zweiter Punkt: Der Frauenanteil ist verschwindend klein in der Robotik. Das sollte man ändern, weil Fauen anders über Probleme nachdenken, und im Moment fehlt dieser Faktor bei uns einfach.



Fragen an Oskar von Stryk, Prof. Dr. rer. nat., lehrt an der TU Darmstadt an der Abteilung für Computerwissenschaften zum Thema Robotics

Welches sind die aktuellen Themen in der Robotik?
Wegen fehlender Standardisierung der Roboterbetriebssysteme waren Software- und Hardwaremodule für andere Robotersysteme bislang nicht wiederverwendbar. Mit der Entwicklung des offenen Roboter Operation System (ROS) ist jüngst ein Durchbruch gelungen, der für die Robotikindustrie eine Entwicklung möglich macht wie in den 1980er-Jahren für die PC-Industrie, als neue Standardbetriebssysteme als Schnittstelle zwischen den Komponenten verschiedener Anwender deren Siegeszug ermöglichten.

Wie sehen die Trends der Zukunft in der Robotik aus?
Die Zahl der Anbieter für Roboter, die als dritter Arm flexibel und kooperativ im direkten Umfeld menschlicher Arbeitskräfte eingesetzt werden können, wird stark zunehmen. Langfristig können dank dem sicheren, intuitiv bedienbaren Dritte-Hand/Arm-Roboter, der in der Industrie Kosten senkt, und dank der hohen Stückzahlen und optimierten Technologien weitere Märkte erschlossen werden. Eine zunehmende Zahl von «App»-Anbietern mit intelligenten Funktionen für Roboter sowie teleüberwachte Roboterfunktionen sind zu erwarten.

Wie können humanoide Roboter der Industrierobotik Nutzen bringen?
Mögliche künftige Anwendungen für «komplette» humanoide Roboter sind beispielsweise Fernwartungen und Einsatz in Katastrophenszenarien, etwa als Bediener in einem für Menschen geschaffenen, aber für diese nicht mehr zugänglichen Bereich wie jüngst in Fukushima.

Kann die Entwicklung bei den humanoiden Robotern mithelfen, die bei Industrierobotern obligatorischen Schutzvorrichtungen abzubauen?
Sogenannte gelenkelastische Roboterkonstruktionen besitzen grosses Potenzial zur Erhöhung der Sicherheit im direkten Umfeld des Menschen, weil sie eine Kollision selbst dämpfen. Dies gilt besonders für Muskel-Skelett-Roboter. Neue Technologien zur intuitiven, wechselseitigen multi-modalen Interaktion zwischen Mensch und Roboter über Führen, Gestik, Sprache bieten sehr grosses Potenzial für die Industrie.

Welches ist der wichtigste Stimulus zwischen der Industrierobotik und den humanoiden Robotern?
Die beiden Bereiche sind noch sehr weit voneinander entfernt, weil humanoide Robotik sehr visionär und noch weit von Prototypenstandards entfernt forscht, während die Industrie ausgereifte Lösungen benötigt, die für Jahre dauerhaft zuverlässig einsetzbar sind. Um die Ergebnissen einer erfolgreichen Dissertation industriell nutzbar zu machen, sind meist 10 bis 15 Jahre weitere Entwicklungen nötig. Dennoch sind die aus der Forschung stammenden Autonomiefunktionen eine wichtige Voraussetzung für den effektiven Einsatz neuer Roboter mit «intelligenteren» Funktionalitäten.

Welches ist der wichtigste einschränkende Faktor, wo «klemmt» es bei der Entwicklung?
Technologisch einschränkende Aspekte sind die Energieversorgung und dadurch die kurze Betriebsdauer mobiler Robotersysteme.

Joker: Was möchten Sie loswerden?
Durch systematische Untersuchungen, zum Beispiel der IFR, konnte gezeigt werden, dass Robotik ein Hauptfaktor für die Entwicklung neuer Arbeitsplätze ist. Wenn in einigen Bereichen durch Robotereinsatz Arbeitsplätze wegfallen, so ist in der Regel die daraus resultierende höhere Produktivität der Werker die einzige Alternative zur Sicherung von angemessen bezahlten Arbeitsplätzen in mitteleuropäischen Hochlohnländern.



Fragen an Adrian Burri, Dipl. Masch. Ing. ETH, Inhaber der «Konzept Agentur» in Bubikon, Tel. 078 854 21 10

Welches sind die aktuellen Themen in der Robotik?
In der Robotik werden immer intensiver Lösungen gesucht, wie Roboter und Menschen aktiv zusammenarbeiten können – und dies auf eine sichere und effiziente Art und Weise. Roboter dürfen dabei keine Gefahr darstellen und müssen zahlreiche undefinierte Aufgaben ausführen können.

Wie sehen die Trends der Zukunft in der Robotik aus?

Zur Erfüllung der oben formulierten Forderung, dass Roboter für die Bediener keine Gefahr darstellen dürfen, müssen «Soft-Roboter», also Roboter, die weiche Strukturen und kraftgesteuerte Antriebstechnologien aufweisen, entwickelt werden.

Wie können humanoide Roboter der Industrierobotik Nutzen bringen?

Humanoide Roboter sind sehr mobil und können aufgrund ihrer Konstruktion Aufgaben unterstützen, die der Mensch alleine nicht durchführen kann.

Kann die Entwicklung bei den humanoiden Robotern mithelfen, die bei Industrierobotern obligatorischen Schutzvorrichtungen abzubauen?
Die Prinzipien von humanoiden Robotern, wie beispielsweise die kraftgesteuerte Regelung, können auch auf Industrieroboter übertragen werden. Der Roboter Baxter von Rodney Brooks oder das EU-Forschungsprojekt Echord, zu finden unter www.engineering.zhaw.ch/de/en gineering/ims/projekte/roboter/echord.html, sind erste praktische Umsetzungen davon.

Welches ist der wichtigste einschränkende Faktor, wo «klemmt» es bei der Entwicklung?
Es ist sicherlich eine grosse Herausforderung, humanoiden Robotern genügend Autonomie in der Mobilität zu geben. Einschränkend ist dabei sicher die Leistungsdichte der Akkus und der hohe Energieverbrauch, der für die Mobilität der Roboter verwendet wird. Aus diesem Grund wird auch am Thema geforscht, wie effizientes Gehen, wie es der Mensch kann, umgesetzt werden soll.



Fragen an Kianoush Nazarpour, PhD, MIEEE (Member of the Institute of Electrical and Electronics Engineers), Oberingenieur für Algorithmik bei «Touch Bionics» in Livingston GB

Welches sind die aktuellen Themen in der Robotik?
Die Roboterwelt hat sich im letzten Jahrzehnt dramatisch verändert. Forschungslaboratorien rund um den Globus bauen immer mehr und interessantere Roboter. Dies gibt uns, zusammen mit anderen Wissenschaftsbereichen, etwa der kognitiven Neurologie und derjenigen der Motorik, der Elektronik, der Computerwissenschaft und der Werkstofftechnik, wie noch nie bisher die Möglichkeit, nützliche Roboter zu konzipieren und zu bauen.

Wie sehen die Trends der Zukunft in der Robotik aus?
Ich sehe verschiedene Entwicklungen in naher Zukunft aufkommen. Die wahrscheinlichste ist die von Cloud-Robotik. In naher Zukunft werden Roboter über enorme Datenmengen und Rechenpower verfügen, weil sie sich mit der Infrastuktur von Cloud-Computing verlinken können. Beispielsweise werden zukünftige Roboter datenintensive Prozesse wie das Generieren von Stimme, Sprache, das Sehen über eine Netzhaut und das Berechnen der Biometrie zu einer mit ihnen verbundenen Cloud delegieren können.

Wie können humanoide Roboter der Industrierobotik Nutzen bringen?
Ein hochdynamisches, sich ständig veränderndes industrielles Umfeld ist ganz speziell interessiert an vielseitigen, hochpräzisen Robotern, die vielleicht in Zukunft – von Menschen kontrolliert – diese im Arbeitsprozess sogar ersetzen können.

Kann die Entwicklung bei den humanoiden Robotern mithelfen, die bei Industrierobotern obligatorischen Schutzvorrichtungen abzubauen?
Die aktuellen Roboter sind noch nicht ganz in der Lage, mit ihren menschlichen Maschinenführern komplett koordiniert und sicher zu interagieren. Deshalb wird hier weitere Forschung und Entwicklung nötig sein, um im Umfeld einer Produktionsanlage eine Zusammenarbeit Mensch-Roboter so zu definieren, dass sie die Sicherheitsanforderungen erfüllt.

Welches ist der wichtigste Stimulus zwischen der Industrierobotik und den humanoiden Robotern?
Wir, die Menschen, haben uns als eine der anpassungs- und leistungsfähigsten Spezies erwiesen und haben die natürliche Selektion in der Evolution überlebt. Deshalb scheint es, dass zukünftige Industrieroboter mit einer humanoiden Gestalt und Struktur, die unter harten, dynamischen und auch gefährlichen Umgebungen zuverlässig arbeiten können, in jeder Beziehung ein grosser Erfolg sein werden. Allerdings muss man sich bewusst machen, dass solche humanoiden Roboter auch als Soldaten eingesetzt werden können!