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Hinstellen und loslegen

Mit dem Invest in das Palettensystem «FPC» von Fastems hat der Schiebebeschlaghersteller Hawa AG zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen konnten die Spindellaufzeiten der beiden Matsuura-BAZ um 75 Prozent erhöht werden, bei gleichem Personalstand. Zum anderen agiert die Fertigung nun deutlich flexibler. In Summe können dadurch Arbeitsplätze in der Schweiz gehalten werden.

Automatisierungslösungen machen nach landläufiger Meinung wirtschaftlich nur dann Sinn, wenn grosse Stückzahlen dahinterstecken. Ganz falsch, meint Berthold Kübler, Leiter Betrieb und Logistik beim Schiebebeschlagspezialist Hawa AG. Seine Erfahrung ist, dass Automatisierung keine Frage der Losgrösse ist, sondern eine Frage des Kostendrucks: «Nur so können wir die Arbeitsplätze im Hochlohnland Schweiz halten.» (Siehe auch Interview nächste Seite.)

Bereits seit Anfang der 2000er-Jahre haben sich die Verantwortlichen bei der Hawa AG den Kopf darüber zerbrochen, wie eine sinnvolle Automatisierung aussehen muss. Der international tätige Anbieter von High-End-Schiebetürbeschlägen hält am einzigen Produktionsstandort in Mettmenstetten eine hohe Fertigungstiefe vor; zum Einsatz kommen spanende und umformende Werkzeugmaschinen. In der Zerspanung werden neben Aluminium und anderem Buntmetall auch rostfreie Qualitäten bearbeitet. Die Losgrössen liegen zwischen 100 und 3000 Stück.

Die Herausforderung in der Aluminiumzerspanung ist weniger im technologischen Bereich begründet; wobei eine hohe Genauigkeit Grundvoraussetzung ist, da die Kunden im bedienten Premiumsegment qualitativ hochwertige und langlebige Produkte erwarten. Es sind vor allem die sehr kurzen Durchlaufzeiten mit Bearbeitungszyklen von einer knappen Minute/Werkstück, für die wirtschaftliche Lösungen gefunden werden müssen.

Als 2007 in ein Horizontal-BAZ «H Plus 405» von Matsuura investiert wurde, war klar, dass die Maschine nur mit Palettenspeicher rentabel arbeiten würde. Aus Platzgründen kam eine Lösung auf Basis eines Gantrysystems nicht in Frage. Und der japanische Werkzeugmaschinenhersteller konnte zum damaligen Zeitpunkt kein adäquates Automatisierungskonzept anbieten. Schliesslich – auch aufgrund der Empfehlung des Maschinenlieferanten Newemag – entschieden sich die Verantwortlichen für das flexible Palettensystem «FPC» des finnischen Automatisierungsspezialisten Fastems. Eine goldrichtige Entscheidung, findet Betriebsleiter Kübler, die 2010 mit dem Kauf der zweiten Matsuura und eines zweiten FPC-Systems bestätigt wurde: «Die Lösung mit dem Container ist nahezu einmalig und genau das, was wir wollten.»

Wobei der Begriff «Container», der sogar bei Fastems in der Vermarktung genutzt wird, den Charme des Systems sehr gut widerspiegelt: Mit einer Grundfläche von 7,2 × 2,25 m bei einer Höhe von knapp 4 m (Transporthöhe 2,8 m) kann das FPC als komplette Einheit per Lkw angeliefert und als Plug-and-Play-Lösung installiert werden.

«Der Container wird hingestellt, angeschlossen, mit der Werkzeugmaschine synchronisiert und dann läuft er», bestätigt Berthold Kübler den Installationsprozess. Mittlerweile. Bei der ersten Installation im Jahr 2007 hatte es noch ein wenig Abstimmungsarbeit zwischen Maschine und Container bedurft. Diese Kinderkrankheiten waren bei der zweiten Installation bereits behoben.

Bei Hawa kommen zwei FPC 750 zum Einsatz, die jeweils 12 Paletten der Grösse 500 × 500 mm aufnehmen können. Theoretisch wäre es möglich gewesen, die zweite Matsuura ebenfalls an den bereits 2007 installierten Speicher anzudocken. «Dann hätten wir allerdings nur auf jeweils sechs Paletten pro Maschine zurückgreifen können. Das war uns aufgrund der sehr kurzen Bearbeitungszeit pro Palette einfach zu wenig», sagt Berthold Kübler.

In diesem Zusammenhang war für ihn auch wichtig, dass die Be- und Entladung des Containers über zwei Arbeitsplätze erfolgen kann. Aber auch so dauert die Bestückung der Spanntürme, die in den Container eingelagert werden, bis zu vier Stunden. Denn: Ein Spannturm kann bis zu 100 Werkstücke aufnehmen.

Die Spanntürme kommen übrigens vom Schweizer Hersteller

Triag – und auch hier spielt Präzision in Kombination mit Schnelligkeit eine grosse Rolle. «Die Spanntürme verfügen über eine hohe Wechselgenauigkeit», weiss Berthold Kübler. «Bei Wiederholaufträgen können wir uns daher darauf verlassen, dass bei richtiger Aufspannung nur das CNC-Programm geändert werden muss und der Prozess steht. Das ist ein Riesenvorteil!» Deshalb genügen vier Bediener, um die zwei Maschinen am Laufen zu halten.

Neben der grossen Speicherkapazität punktet der Container durch hohe Flexibilität. Je nach Auftragslage kann die Reihenfolge der Bearbeitung schnell geändert oder ein neuer Spannturm eingeschleust werden. «Wir können sehr flexibel auf den jeweiligen Bedarf reagieren, der uns vom Vertrieb mitgeteilt wird», bekräftigt Berthold Kübler.

Sehr geschmeidig agiert der Container auch auf anderem Gebiet, wie Holger Schulte, Vertriebsleiter Schweiz bei Fastems, hervorhebt: «Der Container tritt ja nicht gegen die grossen flexiblen Fertigungssysteme an, sondern war und ist als Alternative zur Rundpoollösung konzipiert. Und hier kann er seine Vorteile voll ausspielen: problemlose Erweiterung und Anbindung an übergeordnete Leit- und Managementsysteme.»

Der FPC 750 kann zweimal um jeweils 12 auf insgesamt 36 Paletten erweitert werden. In dieser Ausbaustufe macht laut Holger Schulte die Anbindung an das «Manufacturing Management System» (MMS) von Fastems Sinn: «Neben einer intelligenten Ressourcenplanung gibt das MMS auch wertvolle Hilfestellungen in Bezug auf Fertigungsdaten. So kann der Werkzeugverschleiss erfasst und darauf basierend ein Hinweis an den Bediener übermittelt werden, ob und wann ein Werkzeugwechsel stattfinden sollte.»

Der vielseitige Container hat natürlich seinen Preis. Hawa investierte rund 180 000 Franken pro FPC; die Spanntürme nicht mitgerechnet, die jeweils mit rund 8000 bis 10 000 Franken zu Buche schlagen. Die Frage nach dem Return-on-Invest ist deshalb mehr als berechtigt, für Berthold Kübler aber leicht zu beantworten: «Diese Lösung bringt uns eine Erhöhung der Spindellaufzeit von 8 auf 14 Stunden und damit eine fast komplette zweite, mannlose Schicht.» Sicherlich nicht das schlechteste Argument, wenn es um den teuren Werkplatz Schweiz geht.

- Wolfgang Pittrich


Hawa AG, Mettmenstetten, Tel. 044 767 91 91

www.hawa.ch


Fastems GmbH

Göppingen (DE), Tel. +49 7161 963 800

www.fastems.com



Hawa AG Schiebebeschlagsysteme

Die Hawa AG wurde 1965 von den Gebrüdern Haab übernommen und ist seither in Familienbesitz. Das Unternehmen ist spezialisiert auf hochwertige Schiebebeschlagsysteme für Raumteiler, Möbel, Ladenfronten und Fassaden. Der Vertrieb erfolgt in über 60 Länder weltweit, mit Niederlassungen in den USA, Dubai und Katar. Produziert wird ausschliesslich am Stammsitz in Mettmenstetten. Das Unternehmen beschäftigt rund 140 Mitarbeiter und setzt etwa 46 Mio. CHF um.


Drei Fragen an Berthold Kübler, Hawa AG«Automatisierung sichert Arbeitsplätze»

Herr Kübler, würde es ohne Automatisierung die mechanische Fertigung bei Hawa in dieser Form überhaupt noch geben?

Das muss man differenziert betrachten: Die Eigentümerfamilie Haab bekennt sich eindeutig zum Werkplatz Schweiz. Die Betriebs- und Produktionsverantwortlichen müssen aber Sorge tragen, dass hier eine wirtschaftliche Fertigung möglich ist. Die Investition in eine Automatisierungslösung in Kombination mit bereits bestehenden dynamischen Maschinenkonzepten bietet dazu beste Voraussetzungen: Wir können die Spindellaufzeiten um bis zu 75 Prozent erhöhen und in eine zweite, unbemannte Schicht hineinarbeiten. Insofern sichert die Automatisierung durchaus Arbeitsplätze.


Warum arbeiten Sie generell nicht mehrschichtig, wenn die Kapazitäten vorhanden sind?

In der heutigen Zeit Fachkräfte zu finden, die bereit sind, mehrschichtig zu arbeiten, ist nicht einfach. Abgesehen davon liegt unser primäres Ziel nicht unbedingt darin, den Output zu erhöhen. Uns geht es mehr darum, die Spindellaufzeiten der vorhandenen Maschinen über den Aufbau von Speicherkapazitäten zu erhöhen. Aus diesem Grund gibt es konkrete Überlegungen, für unseren geplanten Neubau in ein flexibles Fertigungssystem von Fastems mit 60 Palettenplätzen zu investieren und zwei bis drei Maschinen anzudocken.


Bringt die Automatisierung auch Entspannung, wenn es um das aktuelle Problem des Fachkräftemangels geht?

Auf jeden Fall. Auch deshalb, weil wir dadurch die Diskussion um die ungeliebte Schichtarbeit vermeiden können. Wir überlegen deshalb laufend, welche Prozesse wir noch automatisieren können. So werden wir in diesem Jahr ein Projekt in der Stanzerei in Angriff nehmen, wo und wie wir aufgrund erhöhter Kapazitäten die Prozesse durch Automatisierung straffen und optimieren können.Blick in den Container: Das Regalbedienungsgerät betreut bis zu 12 Paletten, die auf kompaktem Raum als Plug-and-Play-Lösung an die Maschine angedockt werden können.


TR-Meinung

Die Aussage ist knallhart und glasklar: Ohne Automatisierung sind am teuren Industriestandort Schweiz Arbeitsplätze durchaus gefährdet. Bei der Hawa AG hat diese Erkenntnis bereits vor knapp 15 Jahren einen Prozess der kontinuierlichen Automatisierungsanstrengungen angeschoben: Nicht die Losgrösse entscheidet über die unbemannte Schicht, sondern die Bekenntnis zum Werkplatz Schweiz. Handkehrum ist die Automatisierung ein überlegenswerter Ansatz in Zeiten knapper Fachkräfte.

- Wolfgang Pittrich, Redaktion TR