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Macht generative Fertigung Fräsmaschinen arbeitslos?

Wer ein Haus baut, wird kaum Räume, Türen und Fenster aus einem massiven Gesteinsblock herausfräsen. Bei Maschinengehäusen aus Metall ist dies jedoch die Regel – noch. Die generative Fertigung bietet allerdings neue Möglichkeiten. Andrzej Grzesiak, Leiter der Fraunhofer-Allianz Generative Fertigung am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart, nimmt Stellung.

Herr Grzesiak, welche Vorteile hat die generative Fertigung hinsichtlich der Realisierung komplexer Geometrien?
Andrzej Grzesiak: Der wesentliche Vorteil der schichtbildenden Verfahren liegt darin, dass jede erdenkliche Form, die in einem 3D-CAD-Programm erzeugt werden kann, produzierbar ist. Es gibt keine Einschränkungen in der Herstellung durchscheinender oder hohler Strukturen. Ebenso sind komplexe Geometrien und Freiformen möglich.

Die generative Fertigung war anfangs dem Modell- und Prototypenbau vorbehalten. Wo gibt es praktische Anwendungen in der Serienfertigung?
Wir sind erst am Anfang der Entwicklung. Neue, verbesserte Materialien und stabilere Prozesse werden entwickelt. Nichtsdestotrotz haben wir schon die ersten Best-Case-Anwendungen bei Implantaten, Dentaltechnik und leichten Automatisierungskomponenten. Überall hier ist die individualisierte Massenfertigung realisiert. Dazu kommen neue Anwendungen im Flugzeugbau, in dem besonders der metallische Leichtbau mit Titan eine grosse Rolle spielen wird.

Gibt es Grenzen der gestalterischen Freiheit? Werden traditionelle Gestaltungsrichtlinien ausser Kraft gesetzt?
Die direkte und schnelle Fertigung mittels generativer Verfahren ermöglicht dank der fast grenzenlosen Freiheit in Form und Design die Herstellung individueller und optimaler Produkte. Aufgrund der geometrischen Freiheit und der hohen Elastizität des Materials ist es ausserdem möglich, Schnappverbindungen, komplizierte Formschlüsse, Federkraftverbindungen und Geometrien wie Blattfedern oder Schraubenfedern herzustellen. Daher müssen weniger Teile montiert oder mit Werkzeug verbunden werden. Das müssen die Konstrukteure zuerst lernen.

Wo sehen Sie die Hauptanwendungsgebiete der generativen Fertigung – Medizinaltechnik, Maschinenbau, Werkzeug- und Formenbau, Luft- und Raumfahrt?
Alle diese Bereiche sind interessant. Es wird hier nicht nach den Branchen, sondern nach der Anwendung unterschieden. In allen ist die individualisierte Massenfertigung spezieller Teile und Komponenten zu kostengünstigen Preisen realisierbar.

Gibt es Unterschiede in den Anwender-Zielgruppen – zum Beispiel zwischen Mikrosystemtechnik und Schmiedegesenkherstellung?
Ja, weil einfach ganz andere Anforderungen an die Technik und die Materialien gestellt werden. Hier werden auch ganz andere Technologien eingesetzt. Wichtig ist, nicht überall mit generativen Fertigungstechniken einzusteigen, sondern zuerst die Kundenbedarfe zu verstehen. Damit werden weitere Märkte wie auch die Biotechnologie erfolgreich erschlossen.

Welche der verschiedenen generativen Fertigungsmethoden hat langfristig die besten Aussichten auf breite industrielle Realisierung?
Man sollte die unterschiedlichen Technologien nicht gegeneinander stellen. Je nach der geplanten Anwendung muss man die geeignete Technologie auswählen. Das ist auch für Neueinsteiger wichtig: Zuerst die Anwendung, dann die Technologie. Heutzutage werden die Lasersysteme besonders im Bereich der Endteilefertigung eingesetzt. Zukünftig kommen die Drucktechniksysteme, insbesondere in der Mikrosystemtechnik und der Biotechnologie verstärkt zum Einsatz. Hier wird in den nächsten drei bis fünf Jahren sehr viel geschehen.

Welche Rolle spielt die generative Fertigung heute in automatisierten Prozessketten?
Noch keine. Zwar bietet die Integration neuer Fertigungsverfahren in industrielle Prozessketten weitreichende Möglichkeiten zur Optimierung der Produktion, wird aber durch die fehlende Organisation und die Stand-alone-Maschinen noch wenig umgesetzt. Aufgrund minimaler Losgrössen und des Wegfalls von Montageprozessen durch Komplettfertigung ergibt sich entsprechendes Potenzial zur Verschlankung, die aber eben durch die richtige Organisation unterstützt werden muss. Mit generativer Fertigung können einige Probleme in konventionellen Produktionsstrukturen gelöst werden, wobei sich die Integration dieser Systeme im Spannungsdreieck Zeit/Kosten/Qualität durch derzeit noch fehlende umfassende Produktionsmodelle schwierig gestaltet.

Wie stehts mit der Reproduzierbarkeit der Prozesse, der Qualitätssicherung bei Massenfertigung? Gibt es verlässliche Simulationsmethoden?
Die Reproduzierbarkeit der Verfahren ist ein Hauptthema der aktuellen Entwicklungen und wird in den nächsten Jahren noch zu realisieren sein. Das Thema Qualität wird in der VDI-Richtlinie 3405 «Generative Fertigungsverfahren» bearbeitet. Es laufen gerade viele Forschungsvorhaben wie auch eigene Entwicklungen der Anlagenhersteller, die dann die Thematik bearbeiten.

Kann die generative Fertigung konventionelle Verfahren gänzlich ersetzen?
Nein, das soll auch nicht das Ziel der Entwicklung sein. Man soll die richtigen Anwendungsgebiete definieren und nur dort, wo sich wirtschaftliche und technische Vorteile ergeben, vorhandene konventionelle Technologien ersetzen. Die Technologien sollen nebeneinander bestehen und sich bestmöglich ergänzen.


Es besteht also keine Gefahr, dass die generative Fertigung langfristig die konventionelle Werkzeugmaschine arbeitslos macht?
Man soll zwar niemals nie sagen, aber ich glaube es nicht. Beide Technologien haben einfach bestimmte Vorteile, die man gezielt nutzen kann. Es gibt jedoch Bereiche wie etwa die Dentalprothetik, in denen die Werkzeugmaschine nach meiner Überzeugung in den nächsten Jahren ersetzt wird.

Euromold, Halle 11, C66


Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik
und Automatisierung IPA
DE-70569 Stuttgart, Tel. +49 711 970 17 46
andrzej.grzesiak@ipa.fraunhofer.de
www.ipa.fraunhofer.de, www.generativ.fraunhofer.de