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Management

Industrie 4.0: Smarte Produkte und Fabriken

Unter dem Schlagwort «Industrie 4.0» wird seit einiger Zeit immer lauter darüber nachgedacht, wie zukünftig die Produktion in Hochlohnländern organisiert werden könnte. Ein Blick ins Nachbarland Deutschland zeigt, dass der theoretische Diskurs allmählich praktische Dimensionen annimmt – wobei man weit davon entfernt ist, von einer flächendeckenden Bewegung zu sprechen.

(bf) Durch den Einsatz neuer Technologien hat es die deutsche Industrie in der Vergangenheit geschafft, den Produktions- und Exportstandort zu sichern. Nun gilt es, das «Internet der Dinge» für die vierte industrielle Revolution zu nutzen. Auch auf der Hannover Messe wurden Begriffe wie «Industrie 4.0», «4. Industrielle Revolution» oder auch der Einsatz «Cyber Physischer Systeme» (CPS) in der Produktion lebhaft diskutiert. In Politik, Wirtschaft und Industrie ist man sich einig, dass die nächste industrielle Revolution unmittelbar bevorsteht. Die Forschungsstrategien der Bundesregierung wurden bereits richtungsweisend darauf abgestimmt, den Produktionsstandort Deutschland für die Zukunft noch schlagkräftiger zu machen. Doch was genau kann die Industriewelt derart verändern, dass man diese Entwicklungen in die Reihe mit den grossen industriellen Revolutionen stellt, die von der Erfindung der Dampfmaschine bis hin zum Einsatz von Computersystemen getrieben wurden? Klar ist, dass unsere Wirtschaft vor völlig neuen Herausforderungen in der industriellen Produktion steht. In einem vom ZVEI organisierten Round Table auf der Hannover Messe diskutierten Experten und Visionäre wie Prof. Fritz Klocke, RWTH Aachen, Prof. Wolf-Dieter Lukas, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Prof. Wolfgang Wahlster, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Manfred Wittenstein, Wittenstein AG, und Prof. Dieter Wegener, Chief Technology Officer des Siemens-Bereichs Industrial Solutions and Services, wo wir heute mit Industrie 4.0 stehen, was die auslösenden Technologien sind und welche Entwicklungen zu erwarten sind. «Technische Rundschau» veröffentlicht an dieser Stelle die wichtigsten Key Messages dieses Experten-Round-Tables.
So äusserte sich Prof. Wolf-Dieter Lukas, Abteilungsleiter Schlüsseltechnologien – Forschung für Innovationen im BMBF, zum Industriestandort Deutschland wie folgt: «Deutschland ist die letzte echte Industrienation. Unsere Forschungslandschaft ist mit der Industrie hervorragend verzahnt. Wir müssen IT-Technologien anwenden, auf das, worin wir stark sind: die Produktionstechnik.» KI-Experte Prof. Wolfgang Wahlster ergänzte und ging bei seiner Analyse noch ein paar Stufen tiefer: «Deutschland ist stark in Embedded-Lösungen, ein nächster Schritt ist die Vernetzung und Kommunikation über IP-Protokolle per Funk. Kleine Steuerelemente ersetzen riesige Steuerrechner. Der Feldbus wird abgelöst durch das IP-Protokoll.» Begünstigt werde dieser Trend durch den Preisverfall bei Funksensoren, sie würden die notwendigen Infos übermitteln, um aktiv und autonom Prozesse in der Fertigung oder Logistik zu optimieren. Allerdings sei der notwendige Forschungsaufwand hoch und es müsse in erster Linie noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden.» Prof. Fritz Klocke vom Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen ebenfalls zum Thema Forschung: «Der Maschinenbau und die IT-Welt kommen sich näher. Forschungsteams arbeiten zunehmend interdisziplinär. Fabrik 4.0 ermöglicht eine individualisierte Produktion, ohne die Kosten der Massenproduktion zu übersteigen.» Dieter Wegener, CTO Industrial Solutions and Services, zur konkreten Situation bei Siemens: «Unsere Fertigungsstrassen im Karlsruher Werk fertigen bereits gemäss Fabrik 4.0. Ziel ist es, Seriengrössen von 100 Stück auf Losgrösse eins herunterzubekommen. Wir wollen Verständnis wecken und beweisen, dass Fabrik 4.0 bereits Use-Case ist und damit auch Geld verdient werden kann.» Auch Ex-VDMA-Chef Manfred Wittenstein, Wittenstein AG, ist mit seinem Unternehmen auf dem Weg Richtung Industrie 4.0: «Ich habe eine neue Demofabrik mitten in ein Ballungszentrum im Raum Fellbach gebaut und integriere hier Schritt für Schritt Komponenten der Fabrik 4.0.» Eine Fabrik in einem Ballungsraum zu integrieren, sei eine grosse Herausforderung: Man müsse mit wenig Platz auskommen, wolle keinen Schmutz produzieren und sparsam mit Energie und Ressourcen umgehen, um die Menschen möglichst wenig zu belasten. «Vieles von dem, was wir gelernt haben, wird durch die Fabrik 4.0 in Frage gestellt. Wir Mittelständler in Deutschland meistern die Integration neuer Technologien üblicherweise schneller als anderswo.» Für Industrie 4.0 sei die Ausgangslage in Deutschland hervorragend. «Wir sollten unsere Position verteidigen und damit einen Beitrag leisten, Probleme wie Ressourcen-, Energie- und Kapitalknappheit zu lösen.» Zu den damit in Zusammenhang stehenden Kosten sagte Siemens-Mann Wegener: «Die IT-Kosten werden eine wesentliche Rolle spielen. Personalkosten dürften aber ähnlich wichtig sein.» KI-Forscher Wahlster ergänzte: «Durch Fabrik 4.0 werden die Produktionskosten sinken, da wir offene IT-Standards nutzen können.» Industrie-Manager Wittenstein brachte abschliessend das für Industrie 4.0 entscheidende Thema «Kosten und Ausbildung» auf den Punkt: «Es wird eine Wechselwirkung geben: Zwar werden die IT-Kosten steigen, durch globale Logistikketten und übergreifende Prozesse aber wird der Materialeinsatz sinken und die höheren IT-Kosten ausgleichen. Die Ausbildung muss sich verändern, wir müssen systemischer denken und die IT begreifen.»
Auch hier waren sich alle Diskussionspartner einig: Es wird keine Big Bang geben, sondern – wie Manfred Wittenstein ausführte – eine Step-by-step-Integration der Komponenten von Industrie 4.0. Bis eines Tages cyber-physische Systeme – also verteilte, miteinander vernetzte intelligente Objekte, die eingebettete Systeme mit internetbasierten Funktechnologien vernetzen – Sensordaten aufnehmen, mit deren Hilfe sie Material-, Güter- und Informationsflüsse regeln. Produkte steuern dann ihren Fabrikationsprozess selbst und übernehmen ihre eigene Qualitätskontrolle. Starre Fabrikstrassen werden zu modularen und effizienten Systemen und schonen Ressourcen. In der neuen Industriewelt 4.0 wird der Mensch dann zusätzlich durch zahlreiche smarte Ausbildungs- und Assistenzsysteme unterstützt.•

- Tino M. Böhler, freier Fachjournalist, Dresden

Meine Meinung
Ein erfolgreicher Produktionsstandort im internationalen Wettbewerb zu bleiben, bedeutet heute für alle Player am Markt, die vom Internet getriebene 4. Industrielle Revolution mitzugestalten und autonome, selbststeuernde, wissensbasierte und sensorgestützte Produktionssysteme zu entwickeln, zu vermarkten und zu betreiben. Die Zeit ist reif für den nächsten Schritt, auch wenn es eher step by step zu den oben genannten (r)evolutionären Veränderungen kommen dürfte. Tino M. Böhler


TR-Glossar: Industrie 4.0
In der Zukunft werden sogenannte Smarte Fabriken die Produktion von Grund auf verändern. Cyber-physische Systeme – das sind verteilte, miteinander vernetzte intelligente Objekte, die eingebettete Systeme mit internetbasierten Funktechnologien verbinden – nehmen Sensordaten auf, mit deren Hilfe sie Material-, Güter- und Informationsflüsse regeln. Produkte steuern ihren Fabrikationsprozess selbst und übernehmen ihre eigene Qualitätskontrolle. Starre Fabrikstrassen werden zu modularen und effizienten Systemen und schonen Ressourcen. In der neuen Industriewelt wird der Mensch durch zahlreiche smarte Ausbildungs- und Assistenzsysteme unterstützt. In der Industrie 4.0 arbeiten Elektrotechniker, Informatiker und Maschinenbauer zusammen.
Weitere Infos: www.smartfactory.de und www.dfki.de