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Wenn der Maschinenführer auf Öl durch die Halle gleitet

«Luftreinhaltung in Fertigungsbetrieben: Ist die Schweiz auf dem richtigen Weg?» Unter diesem Motto lud die «Technische Rundschau» zehn Experten zur Diskussion in die Redaktionsräume nach Laufenburg. Hintergrund: Immer höhere Spindeldrehzahlen und KSS-Innendrücke sowie der vermehrte Umstieg von Emulsion auf Öl bieten Grund zur Sorge.

In den letzten Jahren stiegen die Spindeldrehzahlen der Werkzeugmaschinen teilweise drastisch an. Waren vor zehn Jahren noch 8000 min-¹ das Mass der Dinge, sind heute 16 000 oder 20 000 min-¹ keine Seltenheit mehr. Parallel dazu vervielfachen sich die Innendrücke, mit denen Kühlschmierstoffe (KSS) durch die Werkzeuge hindurch in Richtung Schneide gepresst werden, auf 80, 100 oder noch mehr Bar. Dieser Druckanstieg wiederum fordert den Einsatz von mineralölbasierten Schmierstoffen statt Emulsionen.
In Summe, sagt Gustav Fricker, Geschäftsführer der Helfina AG, entsteht dadurch bei der Bearbeitung in den Innenräumen von Werkzeugmaschinen ein sehr gefährliches Gemisch: «Wir haben es mit Ölvernebelungen zu tun, deren Partikelgrösse sich teilweise im Bereich kleiner drei Mikrometer bewegen.» Unter einer Grösse von 3 µm gelten Partikel als lungengängig.
Erschwerend kommt hinzu, so der Fachmann, dass in den Unternehmen die Filtertechnologie im Kontext Werkzeugmaschine, High-End-Bearbeitung und Arbeitssicherheit nicht die Rolle spielt, die sie eigentlich sollte: «In vielen Betrieben gibt es Probleme mit der Absaugung. Oftmals liegt ein flächendeckender Ölfilm auf Boden und Wänden. Man rutscht wie auf einer Eisbahn durch die Werkhallen.»
Eine ähnliche Erfahrung hat Libor Sedlacek im Laufe seines Berufslebens gemacht. Der Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Atelier Sedlacek und Dozent an der ETH Zürich weiss, wovon er spricht: «Die Luftreinhaltung in der Produktion ist ein Riesenproblem. Ich kenne Decolletagefirmen, da tropft das Öl von Decken und Wänden.»
Grund genug für die «Technische Rundschau», dem Thema «Luftreinhaltung» ein eigenes Expertengespräch zu widmen. Die grundsätzliche Frage dabei lautet: Gründet der skizzierte Missstand auf Schlamperei oder Unwissenheit der Unternehmer, oder entsprechen vielleicht die vorgegebenen Arbeitsplatzkonzentrationen nicht mehr dem Stand der Technik?
Fakt ist, dass der technische Richtwert in der Schweiz für Emissionen in geschlossenen Produktionsräumen 20 mg/m³ für die Summe der Aerosole und Dämpfe nicht überschreiten darf. Geht es um Mineralölnebel mit einem Siedepunkt grösser 350 °C, liegt der Richtwert bei 0,2 mg/m³.
In anderen Ländern sind teilweise deutlich differierende Werte für die maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) vorgeschrieben. Dazu präzisiert Michael Koller, verantwortlicher Arzt für Toxikologie bei der Suva (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt): «Der Grenzwert der amerikanischen ACGIH – American Conference of Governmental Industrial Hygienists – für reines hochraffiniertes Mineralöl liegt bei 5 mg/m³.» Und das National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) hat laut Koller einen Richtwert für Kühlschmiermittel-Aerosole von insgesamt 0,5 mg/m³ definiert.
In Frankreich oder Deutschland, so der Experte, existieren keine offiziellen Grenzwerte. In Schweden ist ein Grenzwert für Mineralnebel und bei wassermischbaren KSS für den nicht-wässrigen Teil mit 1 mg/m³ für Aerosole sogar gesetzlich verankert und nicht nur eine Richtlinie wie in der Schweiz.
Aufsichtsorgan für die Berufskrankheitenverhütung und damit zuständig für die Luftreinhaltung in den Schweizer Unternehmen ist die Suva. Philippe Schneuwly, Arbeitshygieniker bei der Suva, verweist auf die doch recht eindeutigen Vorgaben im Zusammenhang mit KSS-Emissionen: «Der technische Richtwert von 20 mg/m³ Luft ist ein Kriterium, an dem wir uns orientieren, wenn Messungen in Unternehmen gemacht werden. Zusätzlich spielt noch der «Stand der Technik» eine Rolle. Dazu gehört, dass Maschinen, die KSS-Dämpfe emittieren, voll gekapselt und mit einer Absauganlage versehen sein müssen, die Aerosole abscheiden können.» Verantwortlich für die Umsetzung und Ausführung ist wiederum das Unternehmen.
Diese Verordnung ist eng angelehnt an die CE-Kennzeichnung und die neue Maschinenrichtlinie. Bereits hier betreten wir das sumpfige Feld der Ausnahmen und Möglichkeiten. Zwar muss eine gekapselte Maschine, die CE-konform ist, mit einer Einrichtung bestückt sein, die Gefahrstoffe aus der Maschine transportiert. «Welche das ist und ob sie ihren Zweck überhaupt erfüllen kann», sagt Frank Fuderer, Verkaufsleiter der Helfina AG, «ist allerdings zweitrangig. Zudem können in der Schweiz auch Maschinen betrieben werden, die nicht CE-konform sind und daher nicht gekapselt sein müssen.»
Aber auch bei den gekapselten Maschinen scheint nicht alles Gold, was glänzt. Diese Erfahrung hat Hans Ulrich Moser gemacht, Leiter der mechanischen Fertigung bei Mettler-Toledo: «Es gab Fälle, da mussten wir den Werkzeugmaschinenhändler darauf hinweisen, dass die Maschine eine Absaugvorrichtung benötigt. Andernfalls wäre sie ohne aufgestellt worden.» Zwar mag das die Ausnahme sein, trotzdem fühlt sich Moser von den Maschinenherstellern und deren Händlern oftmals alleine gelassen, wenn es um die Auswahl der richtigen Filteranlage geht: «Wenn ich eine Werkzeugmaschine kaufe, sollte eigentlich die Beratung so erfolgen, dass ich weiss, mit welcher Filteranlage ich sie am besten betreiben kann und mit welchen Folgen ich rechnen muss, wenn ich den Kühlschmierstoff wechsle. Aber das passiert nicht.»
Genau aus diesem Grund hat sich Helfina-Geschäftsführer Gustav Fricker mit dem schwedischen Filterhersteller Absolent AB zusammengetan, um in der Schweiz für saubere Luft zu sorgen: «Ich kenne aktuell keinen anderen Filterhersteller, der so viel Aufwand betreibt, und keinen anderen Händler, der sich so viel Mühe mit der Beratung macht, wie wir es tun.» So verspricht Absolent mit seinen Anlagen einen Abscheidegrad von 99,95 Prozent bei Partikeln bis 0,3 µm.
Der Stand der Technik ist also ein hoher, wie auch Helfina-Kunde Hans Ulrich Moser bestätigt: «Bei uns gibt es keine Ölfilme mehr auf den Anlagen oder Böden. Wir atmen ziemlich reine Luft.» Wobei er durchaus zugibt, dass sein Ansatz, sich an Helfina zu wenden, nicht nur der Sorge um die Mitarbeiter entsprang («Wir hatten und haben keine gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit KSS»), sondern auch technischer Natur war: «Als wir bei einer Drehmaschine von Emulsion auf Öl umgestiegen sind, hatten wir innerhalb kürzester Zeit grosse Probleme, bis hin zu öltropfenden Abluftkanälen und unplanmässigen Maschinenstillständen.»
Nun ist es eine Sache, eine Werkzeugmaschine sauber zu bekommen; die andere ist, ob man sich durch die Aufrüstung mit einer Filteranlage noch im rechtlichen Rahmen bewegt. Wenn nämlich eine CE-konforme Maschine mit einer externen Absaugung versehen wird, und darauf weist Philippe Schneuwly von der Suva explizit hin, «dann muss dieser Ausrüster eine neue Konformitätserklärung für die gesamte Anlage ausstellen. Unter Umständen muss er sogar eine Risikoanalyse veranlassen.»
Diese Aussage sorgte für eine gewisse Aufregung in der Diskussion. Kann es sein, so sinnierte Frank Fuderer, dass man als Ausrüster mehr oder weniger bestraft wird, wenn man für saubere Luft und dadurch eine wirtschaftlichere Fertigung sorgt? «Wenn das wirklich so wäre, dann bin ich geneigt zu sagen: Steht weiter in eurem Nebel herum.» Auch Anwender Hans Ulrich Moser befielen plötzlich Bedenken, was die rechtliche Situation seiner aufgerüsteten Maschinen angeht: «Anscheinend bewegen wir uns in einer gewissen Grauzone.» Eine Diskussion darüber scheint überfällig und dürfte spannend werden.
Jenseits dieses Nebenkriegsschauplatzes bleibt die Frage, ob bei der gesamten Diskussion nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Laut Suva nämlich, gehört die KSS-Exposition nicht unbedingt zu den drängendsten Fragen, wenn es um gesundheitliche Risiken am Arbeitsplatz geht. Und wenn darüber diskutiert wird, geht es nicht um potenzielle lungengängige Partikel, sondern um Ekzeme und Hautausschläge. «Wir beobachten rund 100 anerkannte Hautkrankheiten pro Jahr, die auf Kühlschmierstoffe zurückzuführen sind. Und denen steht ein Fall gegenüber, der die Atemwege betrifft», sagt Claudia Pletscher, Leiterin Arbeitsmedizinische Vorsorge bei der Suva.
Zudem stellt die Arbeitsmedizinerin fest, lag der Anteil an KSS-bedingten Berufserkrankungen vor zehn Jahren noch deutlich über den heutigen Werten. Auch eine nach langer Latenzzeit nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit auftretende Erkrankung, beispielsweise im Rentenalter als Folge eines übermässigen KSS-Kontaktes, wurde gemäss Pletscher bis heute nicht beobachtet.
Warum dann die teilweise drastisch niedrigeren Grenzwerte in anderen Ländern? Jan Berntsson vom Filterhersteller Absolent im schwedischen Lidköping beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema. Er betrachtet zwar auch die Hauterkrankungen als virulent, will aber das Problem mit der Lungengängigkeit kleinster KSS-Partikel nicht unter den Tisch fallen lassen: «Es gibt schwedische Untersuchungen, die einen deutlichen Zusammenhang von Luftverschmutzung in Unternehmen und Atemwegserkrankungen der Belegschaft nachweisen.» Nicht umsonst wird in schwedischen Expertenkreisen ernsthaft diskutiert, den derzeitigen MAK-Wert von 1 mg/m³ Luft zu halbieren.
Annika Sedwall, bei Absolent zuständig für die Regionen Schweiz, Deutschland und England, sieht in den schwedischen Unternehmen auch eine ganz andere Sensibilisierung im Umgang mit Kühlschmierstoffen: «Hier wird sehr darauf geachtet, dass die Filter gereinigt werden und funktionieren. Ich habe zudem in Schweden noch nie einen Wert gemessen, der an den in der Schweiz vorgegebenen Grenzwert herangereicht hat.»
Auch deshalb, gibt Michael Koller zu bedenken, weil ganz andere Messmethoden eingesetzt werden oder sich der Grenzwert auf andere KSS-Anteile bezieht: «Wir in der Schweiz messen die Aerosole und den Dampf. In anderen Ländern werden beispielsweise nur die Aerosole gemessen oder der Dampf. Es ist also sehr schwierig, diese Grenzwerte oder technischen Richtwerte zu vergleichen.»
Vergleicht man also Äpfel mit Birnen, wenn die MAK-Werte der einzelnen Länder gegenübergestellt werden? Zumindest spielen neben den unterschiedlichen Messverfahren auch noch weitere Faktoren eine Rolle. «Hinter den Grenzwerten steckt jeweils die Gesetzgebung eines Landes», sagt Claudia Pletscher. «Zudem gibt es sehr unterschiedliche Richtwerte, die einerseits auf technischen Möglichkeiten fokussieren, andererseits auf gesundheitsbasierenden Werten beruhen.»
So wurde beispielsweise in Deutschland im Jahr 2005 die neue Gefahrstoffverordnung erlassen, bei der keine technischen Richtkonzentrationen vorgesehen sind. Die Folge: Weil es noch gar keine empirisch ermittelten Werte zur neuen Verordnung gibt, setzte man die technischen Richtkonzentrationen bis zum heutigen Tage aus.
Gerade aufgrund dieser diffusen Verordnungslage und der fehlenden Vergleichbarkeit der Werte scheint es umso wichtiger, die Bediener an den Maschinen mit effektiven Filteranlagen zu schützen – jenseits gesetzlicher Vorschriften und Richtwerte. Eine gesunde Arbeitsumgebung, so ist sich Libor Sedlacek sicher, führt zu zufriedenen und besser motivierten Mitarbeitern. Abgesehen davon, dass sich der Invest in gute Filteranlagen auch wirtschaftlich bezahlt macht: «Ich behaupte, ein Mitarbeiter, der in einer sauberen Umgebung arbeitet, ist mindestens einen Tag pro Jahr weniger krank.» Rechnet man dann noch die Ausfallhäufigkeit von Maschinen und Anlagen aufgrund von verstopften Filtern, Revisionen oder Maschinenreinigungen hinzu, ist der Invest in eine gute Filteranlage eine durchaus reizvolle Perspektive.•
Wolfgang Pittrich


Die Gesprächspartner
Jan Berntsson:Leiter Forschung und Entwicklung bei Absolent AB. Arbeitet dort seit 1999 und ist seit 1981 im Bereich F&E tätig. (www.absolent.com)
Gustav Fricker:Geschäftsführer der Helfina AG, die als Zulieferer und Beratungsfirma für wirtschaftliche Produktion tätig ist. (www.helfina.ch)
Frank Fuderer: Der gelernte Elektroniker und geschulte Konstrukteur ist Verkaufsleiter bei der Helfina AG. (www.helfina.ch)
Michael Koller: Als Facharzt für Rechtsmedizin ist er bei der Suva verantwortlicher Arzt für Toxikologie. (www.suva.ch)
Hans Ulrich Moser: ist Maschinenmechaniker und Techniker TS. Er leitet die mechanische Fertigung bei Mettler-Toledo in Nänikon. (www.mt.com)
Claudia Pletscher: Die Fachärztin für Arbeits- und Allgemeine Innere Medizin leitet bei der Suva die arbeitsmedizinische Vorsorge. (www.suva.ch)
Philippe Schneuwly: Der diplomierte Chemiker ist als Arbeitshygieniker/Sicherheitsingenieur bei der Suva tätig. (www.suva.ch)
Libor Sedlacek: ist Geschäftsführer der Beratungsfirma Atelier Sedlacek und war Professor an der ETH Zürich. (atelier.sedlacek@bluewin.ch)
Annika Sedwall: Die Ingenieurin ist seit 2000 bei Absolent AB und dort für die Schweiz, Deutschland und England zuständig. (www.absolent.com)


Meine Meinung
Eines ging aus der Diskussion eindeutig hervor: An der Suva liegt es nicht, wenn in Ateliers und Produktionshallen Kühlschmierstoff von Decken und Wänden tropft oder man vor lauter KSS-Nebel die Hand vor Augen nicht mehr sieht. Der Aufsichtsbehörde wird bescheinigt, einen guten Job zu machen. Auch am vielbeschworenen «Stand der Technik» braucht ein sauberer Arbeitsplatz nicht zu scheitern.
Es liegt eher an einem unglücklichen Mix aus schwammigen Vorschriften, rechtsfreien Räumen (CE-Konformität), gleichgültigen Maschinenhändlern, aber auch fehlender Eigeninitiative sowie mangelnder Mitarbeiteraufklärung. Fazit: Will man einen sauberen Betrieb, damit auch motivierte und gesunde Mitarbeiter, dann ist Eigeninitiative das erste Mittel der Wahl: Für einen überschaubaren Betrag von mehreren tausend Franken – der sich übrigens innert ein, zwei Jahren, vielleicht sogar wenigen Monaten, amortisiert – gibt es die Lösung. Man muss es nur wollen.
Wolfgang Pittrich, Redaktion TR


Laufenburger Gespräche
Mit den «Laufenburger Gesprächen» hat die «Technische Rundschau» ein Diskussionsforum etabliert, um brisante, heikle oder aktuelle Themen im Expertenkreis zu diskutieren. Bereits die erste Veranstaltung liess die Wellen hochschlagen. Unter anderem bei der Frage der CE-Konformität, wenn eine Werkzeugmaschine mit einem Filter nachgerüstet wird. Aber auch das eigentliche Thema «Luftreinhaltung» diskutierten die Anwesenden durchaus kontrovers. Weitere Gespräche sind bereits in Planung. Die Redaktion freut sich bereits auf die hoffentlich engagierten Gespräche in Laufenburg.