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Entscheidende Prüflücke geschlossen

Einzigartiges Versuchs- und Prüflabor in der Schweiz: Die Elektromotorenwerk Brienz AG (EMWB) wird Anfang Juli ihr neues Versuchs- und Prüflabor für elektrische Antriebssysteme in Betrieb nehmen. Die Anlage verfügt über sechs Prüfstände und ist schweizweit einmalig, was die Test- und Prüfmöglichkeiten betrifft. Nicht umsonst möchte man diese Einrichtung auch Dritten zugänglich machen. Die TR war exklusiv vor Ort und hat sich aus erster Hand von Geschäftsführer Markus Thöni informieren lassen.

Bereits die nackten Zahlen sprechen für sich: Sechs Prüfstände mit Drehmomentmesswellen von 5 bis 3000 Nm, Lastmaschinen mit Dauerleistungen bis 288 kW und einem maximalen Drehzahlbereich bis 25 000 min-1, Aufspanngewicht der Prüflinge bis 2000 kg, maximale Achshöhe der Prüflinge bis 400 mm. Nicht umsonst sagt Markus Thöni mit Stolz: «Unser neues Labor ist sowohl von der Ausprägung als auch von der Leistungsdichte etwas Besonderes.»
Für den Geschäftsführer der Elektromotorenwerk Brienz AG (EMWB), der das Familienunternehmen zusammen mit seiner Schwester in der zweiten Generation führt, war der Ausbau des bisherigen Test- und Prüflabors ein notwendiger Schritt. Zu eingeschränkt und nicht mehr zeitgemäss lautete das Urteil, das Anfang 2012 in ein Pflichtenheft für einen völlig neu konzipierten Motorenprüfstand mündete: «Unser bisheriges Labor ist zwanzig Jahre alt und verfügt nur über ein limitiertes Leistungsspektrum. In den letzten Jahren waren wir immer wieder gezwungen, Sonderprüfstände zu bauen, um die neu entwickelten Antriebe zu testen und zu optimieren.»
EMWB ist einer der führenden Schweizer Hersteller und Händler von Elektromotoren und dürfte auf dem Gebiet der Sondermotoren sogar der Marktleader sein. Die Entscheidung, in ein so umfassendes Testlabor zu investieren, beruht zum grossen Teil auf dieser Ausrichtung. Der Trend hin zu energieeffizienten und explosionsgeschützten Motoren (Atex- und IEC-Ex-Motoren), aber auch die Auslegung von gesamten Antriebssystemen mit Frequenzumrichter oder Getriebe stellt höchste Anforderungen an den Messprozess. Das fordert auch den erfahrenen Hersteller: «Aufgrund der immer strengeren Verordnungen – auch und gerade bei energieeffizienten Motoren – muss die Motorentechnologie immer mehr ausgereizt werden», sagt Markus Thöni. «Darum müssen auch wir besser Bescheid wissen, wo die Limiten eigentlich liegen.»
Neben der Möglichkeit, die eigenen Produkte im Grenzbereich zu testen und daraus resultierend optimieren zu können, bietet der neue Prüfstand für Thöni noch einen entscheidenden weiteren Vorteil: «Wir können dem Kunden dokumentiert das liefern, was wir versprechen.» Denn: Die Wirkungsgrade der energieeffizienten Motoren nach IE2, IE3 und IE4 können nur mit einem aufwendigen Messverfahren und den entsprechenden Messeinrichtungen exakt und nachvollziehbar gemessen werden. «Und diese Messungen», sagt Thöni, «können über den vorhandenen Leistungs- und Drehzahlbereich des neuen Labors zu 100 Prozent abgedeckt werden.»
Doch werfen wir einen Blick auf die geplanten Prüfstände, die aktuell beim deutschen Anbieter Kistler Lorch GmbH am Entstehen sind. Wie aufwendig die Anlage konzipiert ist, zeigt sich übrigens auch daran, dass es nur noch zwei Anbieter gibt – beide mit Sitz in Deutschland –, die in der Lage gewesen wären, das umfangreiche Pflichtenheft von EMWB zu erfüllen. Denn jenseits des extrem breiten Messfeldes, das Drehmomentbereiche von 5 bis 3000 Nm umfasst, steckt sehr viel Aufwand in den insgesamt sechs Prüfständen: «Da geht es um die Protokollierung von Leerlaufverlusten genauso wie von Kupfer- und Eisenverlusten», erläutert Markus Thöni. «Man benötigt eine hohe Genauigkeit, aber auch Synchronität des Messvorgangs und der Abtastzyklen. Einfache Prüfstände kommen hier ganz schnell an ihre Grenzen.»
Die gesamte Prüfanlage besteht aus insgesamt fünf Mechaniken mit sechs Motorprüfständen. Auf die Mechanik M5 sind die beiden kleinsten Einheiten montiert mit 5 und 20 Nm Drehmoment. Die grösste Mechanik M1 hat eine Abmessung von 3,2 x 1 m und wiegt 8 t – ohne Prüfling. Sie wird von einem 288-kW-Asynchronmotor angetrieben und kann Drehmomente bis zu 3000 Nm belasten.

Die eigenen Produkte auf Herz und Nieren prüfen
Wenn der Betrieb am 1. Juli startet, wird EMWB zuerst ausführlich in die Testphase gehen. Ziel ist, so Thöni, die eigenen Produkte auf Herz und Nieren zu prüfen. Zudem will man ein Gefühl für den Prüfstand entwickeln: «Die Messungen sollen in der Endphase so standardisiert ablaufen, dass Messfehler weitgehend ausgeklammert werden und Prüfungen nach den relevanten Normen automatisch ablaufen.»
Womit bereits ein mittelfristiges Ziel des neuen Prüf- und Versuchslabors definiert ist: Die teure Anlage wird durch EMWB alleine nicht auszulasten sein. Geplant ist laut Markus Thöni die Dienstleistung für externe Kunden: «Natürlich wollen wir mittelfristig unser Labor auch für Drittmessungen zugänglich machen.»
Dürften im ersten Step vor allem die eigenen Kunden von diesem Service profitieren, kann sich Thöni ebenfalls vorstellen, dass weitere Unternehmen auf den Zug aufspringen: «Es könnten Anwender sein, die im Zweifel sind, ob der eingesetzte energieeffiziente Motor das hält, was versprochen wurde.»
Aber auch Unternehmen, die eine umfassende Erneuerung bestehender Anlagen planen, sollen vom zukünftigen EMWB-Know-how profitieren: «Wir beraten aktuell einen Kunden, bei dem eine Ersatzinvestition von rund fünfzig Motoren ansteht, und der möchte mit uns diesen Weg gehen. Wir werden dazu einen energieeffizienten Prototypen auf Herz und Nieren testen und mit dem bestehenden Antrieb vergleichen. Der Kunde kann daraufhin eine Risikoabschätzung vornehmen, in welchem Zeitraum sich die Investition rechnet.»
Denkbar ist, dass die öffentliche Hand ebenfalls ein Interesse hat, in bestimmten Fällen auf die Prüfeinrichtungen von EMWB zurückzugreifen.• Wolfgang Pittrich

Elektromotorenwerk Brienz AG (EMWB)
3855 Brienz, Tel. 033 952 24 24
info@emwb.ch



Versuchs- und Prüflabor EMWB

  • Start: 1. Juli 2013
  • Insgesamt fünf Prüfmechaniken mit sechs Lastmaschinen
  • Sehr breites Messfeld von 5 bis 3000 Nm Drehmoment
  • Unterschiedliche Motorentypen prüfbar, unter anderem Getriebe-, Torque-, Einphasen-, Energieeffizienz-, Ex-Motor- und PM-Synchronmotor
  • Netzbetrieb (Nenn-, Unter- und Überspannung)
  • Frequenzumrichtermessungen (Gesamtsystem und Einzelverluste)
  • Losreiss-, Kipp- und Sattelmomentbestimmung
  • Drehmomentkurven
  • Wirkungsgradmessungen
  • Atex- und IEC-Ex-Messungen
  • Blockierungsmessungen
  • Prüfungen mit variablem Kühlmedium (Luft, Kühlflüssigkeit)
  • Motorische und generatorische Messungen
  • Gesamtwirkungsgradmessung von Motoren mit Frequenzumrichter möglich
  • Alle Lastmaschinen werden flüssigkeitsgekühlt betrieben und besitzen daher einen hohen Wirkungsgrad
  • Einsatz von Vierquadrantenantrieb; das heisst, die Bremsenergie wird in das System zurückgespeist und nur Verluste werden aus dem Netz bezogen

Ein Unternehmer unternimmt, geht also auch in durchwachsenen Zeiten Risiken ein. So gesehen ist EMWB ein Paradeunternehmen, das sich nicht scheut, antizyklisch zu agieren. Der Invest in das neue Prüflabor ist ein Wagnis, das Risiko dürfte aber überschaubar sein. Denn mit dieser einzigartigen Anlage offeriert man nicht nur bestehenden und potenziellen Kunden einen Leckerbissen. Sie könnte auch für den Bund ein Loch stopfen, das der sich selbst gegraben hat durch die Festlegung einer flächendeckenden Prüfung von IE-Motoren. Man darf gespannt sein, was sich aus dem EMWB-Prüfstand so alles entwickelt.
Wolfgang Pittrich, Redaktion TR