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«Dieses Konstrukt ist schweizweit einmalig»

Estech Industries hat sich in den vergangenen knapp zehn Jahren still und heimlich zu einem grossen Schweizer Zulieferer entwickelt, mit 450 Mitarbeitern und 100 Mio. CHF Umsatz. CEO Lars Wiese erläutert im Gespräch mit TR-Chefredaktor Wolfgang Pittrich die Idee dahinter: Eigenständig agierende Firmen konzentrieren unter einem Holding-Dach ihre Aktivitäten und können ihre Ressourcen zu einer grossen, schlagkräftigen Einheit bündeln.

Herr Wiese, die Holding Estech Industries umfasst zehn Einzelfirmen, darunter so bekannte Namen wie Verzinkerei Wettingen AG oder Promec. Wer steckt hinter Estech?
Es gibt zwei Hauptaktionäre: Ernst Sager als Verwaltungsrat und mich als CEO. Zusammen haben wir die Mehrheit innerhalb der Estech Industries. Zudem ist das Management der einzelnen Firmen beteiligt und einige Privatpersonen, die mit Einlagen involviert sind.

Begonnen hat die Erfolgsstory der Estech-Gruppe im Grunde 1996, als Ernst Sager die Aktienmehrheit der Emil Suter Maschinenfabrik übernahm. Aber so richtig Fahrt aufgenommen hat das Ganze eigentlich erst Mitte 2000 ...
Das stimmt. Im Jahr 2004 konnte Ernst Sager die Firma Sager übernehmen. 2006 kam die Promec-Estech AG dazu, damals noch die Grossteilefertigung der Bucher-Guyer AG. Ab dann ging es sukzessive weiter.

Welches Konzept steckt hinter diesen Zukäufen?
Ernst Sager erkannte bereits Anfang der 1990er-Jahre, dass die Schweizer «Old Economy» an den Rändern zu erodieren begann. Grosse Unternehmen gingen Konkurs oder definierten ihre strategische Ausrichtung neu. Er wollte zu dieser Entwicklung einen Gegenentwurf schaffen und die Wurzeln des Schweizer Maschinenbaus erhalten.

Und wie sieht dieser Gegenentwurf genau aus?
Unsere Idee entspringt dem neudeutschen Begriff «Subcontracting». Also eine Gruppe komplementärer Zulieferer, die komplette Leistungen aus einer Hand bietet.

Das käme dem momentanen Trend der Industrie entgegen, die Zulieferkette immer mehr auszudünnen und zunehmend auf Generalübernehmer zurückzugreifen.
Wir sehen in der Tat ein Bedürfnis in der Schweiz, das wir durch die Estech Holding bedienen können. Unser Fokus liegt auf kleinen Stückzahlen, gepaart mit einem sehr breiten Portfolio. Wir können in der Gruppe kleinste Präzisionsteile genauso bearbeiten wie Teile bis zu 30 Tonnen Gewicht. Wir können zerspanen, umformen, härten, schweissen, verzinken, aber auch ganze Baugruppen montieren oder fertige Werkstücke produzieren. Diese Expertise differenziert uns deutlich vom Low-Cost-Anbieter aus dem Ausland.

Nun gibt es auch kritische Stimmen, die in diesem Übernahmeszenario das Fressverhalten einer Heuschrecke zu erkennen glauben.
Es ist bei keinem der Beteiligten irgendeine Absicht zu erkennen, schnell etwas aufzubauen, um dann mit viel Geld zu verschwinden. Uns eint der Gedanke, einen kreativen Prozess zu gestalten, der langfristig Erfolg hat. Ich glaube sogar, dass wir uns inzwischen viel Kredit erarbeitet haben, da die Holding auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten einen langen Atem bewiesen hat.

Stehen die einzelnen Firmen im Wettbewerb zueinander?

Es gibt Überschneidungen, und das ist durchaus so gewollt. Gewisse Kunden schätzen es, dass sie bei der Estech nicht nur auf einen Lieferanten zurückgreifen können, sondern die Aufträge im Notfall auf mehrere Schultern verteilt werden. Natürlich bestehen – historisch gewachsen – auch Redundanzen. Es wird in naher Zukunft verstärkt unsere Aufgabe sein, Überscheidungen, die wir nicht wollen, anzupassen und, die Sinn machen, zu optimieren.

Welche Synergien können Sie in der Gruppe nutzen, um zu einem Wettbewerbsvorteil zu kommen?
Da sind natürlich die Klassiker wie gemeinsamer Einkauf oder einheitliche Softwarearchitektur, um eine grösstmögliche Durchgängigkeit in der Fertigung zu erzielen. Aber bereits die reine Grösse der Holding bietet schon Wettbewerbsvorteile ...

Wie meinen Sie das?
Wir konnten vor Kurzem einen grossen Kunden im Ausland nur deshalb gewinnen, weil wir als Gruppe aufgetreten sind. Da war die Grösse entscheidend; ein Einzelunternehmen der Holding wäre nicht zum Zuge gekommen.

Das bedeutet, die Struktur der Holding ist bereits so weit gediehen, dass man einen direkten Know-how-Transfer hat?
So weit sind wir vielleicht noch nicht. Nachdem wir in den letzten Jahren ziemlich gewachsen sind, kommen wir nun in eine Phase der Konsolidierung und Professionalisierung. Darum haben wir uns auch für eine neue Holdingstruktur entschieden.

Wie sieht diese Struktur aus?

Es wird in Zukunft vier Bereiche unter dem Dach der Holding geben: Estech Materials, Estech Components, Estech Coatings und Estech Systems. Wobei Components mit 6 Firmen, 270 Mitarbeitern und einem Umsatz von 60 bis 70 Millionen Franken die grösste Sparte ist. Hier fangen wir auch an, die Durchgängigkeit der Prozesse zu optimieren. Diese Struktur werden wir anschliessend auf die anderen Bereiche umlegen.

Sie haben es bereits angetönt: Estech Industries ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Wo liegt für Sie die Grenze des Wachstums?

Wachstum per se kann kein Kriterium sein. Das Wachstum muss einen Kundennutzen haben. Für uns ist ganz wichtig, dass die einzelnen operativen Einheiten nicht über 100 Mitarbeiter anwachsen, mit einer Untergrenze von 30 Mitarbeitern. Wir müssen uns die flexiblen Strukturen eines KMU erhalten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Bereiche Coating und Materials irgendwann einmal eine ähnliche Grössenordnung wie die Components einnehmen. Vorrangiges Ziel ist allerdings – wie schon gesagt –,
unsere Strukturen zu professionalisieren und den Kundennutzen sicherzustellen.

Blicken wir nochmals auf das Thema «Wettbewerbsvorteil»: Sehen Sie weitere konkrete Anzeichen dafür, dass die einzelnen Unternehmen durch den Zusammenschluss besser aufgestellt sind?
Seit ein paar Jahren gibt es eine unschöne Entwicklung, mit der man als Schweizer Unternehmen konfrontiert ist: die Währungsproblematik. Wenn man im Ausland, vor allem in Deutschland, auf Messen unterwegs ist und sich und sein Angebot ins Spiel bringen möchte, ist die Reaktion fast immer gleich: «Ach, an die Schweiz habe ich jetzt gar nicht mehr gedacht, die ist sowieso viel zu teuer.»

Das kann ich mir gut vorstellen, aber das war nicht meine Frage ...

Mittlerweile ist es so – und da komme ich auf Ihre Frage zurück –, dass uns vermehrt deutsche Unternehmen ansprechen und auf unsere Dienstleistung zurückgreifen möchten, mit der Begründung: «Ihr seid zwar teurer, aber von euch bekomme ich genau das, was ich bestellt habe und vor allem zu dem Zeitpunkt, zu dem ich es haben möchte.»

Eine schöne Geschichte ...
Und für mich eine spannende Entwicklung, da man uns mittlerweile mit den Merkmalen assoziiert: qualitativ hochwertig bei hoher Liefertreue. Das haben wir uns erarbeitet. Das sehe ich als die – vielleicht einzige – Chance im Wettbewerb mit ausländischen Anbietern. Und diese positiven Assoziationen müssen wir vermehrt am Markt verkaufen.

Aber der Preisdruck wird nach wie vor bleiben.
Er wird sich im Gegenteil noch verschärfen. Lagen wir früher vielleicht um 10 oder 15 Prozent über den ausländischen Offerten, kommen heute nochmals 20 Prozent durch den starken Franken dazu. Und, das darf man nicht vergessen, in Deutschland hat das Lohngefüge in den letzten zehn Jahren real eher abgenommen. Ich glaube daher, um den Werkplatz Schweiz zu stärken, muss partiell auch der Weg in sogenannte «Low-cost-countries» beschritten werden. Gewisse unrentable Fertigungsstrukturen müssen ins Ausland verlagert werden, um langfristig die Aktivitäten in der Schweiz zu sichern.

Diese Diskussion ist ja schon ein paar Jahre alt ...

Hat aber nach wie vor seine Berechtigung. Auch deshalb, weil Kunden von uns das Angebot eines Gesamtpakets erwarten. Dort sind eben auch Produkte dabei, welche unrentabel für Schweizer Strukturen sind. Um uns hier Luft zu verschaffen, werden wir nach einer Fertigungsmöglichkeit im Ausland suchen müssen.

Sie sprechen einen interessanten Aspekt an: Arbeitet die Estech-Gruppe eigentlich rentabel?
Es war immer unsere erste Priorität, rentabel zu sein. Und wir sind es, auch in der heutigen Zeit.

Wie schätzen Sie eigentlich die Aussenwahrnehmung von Estech Industries ein?

Ich denke, dass man uns als ernsthaften Wettbewerber begreift, natürlich auch kritisch betrachtet. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass es so ein Konstrukt in der Schweiz kein zweites Mal gibt.

Welche mittelfristigen Ziele setzt sich ein CEO Lars Wiese?
Die Internationalisierung könnte ein Thema sein. Die Schweiz ist – das muss man ganz klar sehen – ein gesättigter Markt. Es ist zudem denkbar, in den Sparten Materials und Coatings noch Arrondierungen vorzunehmen. Auch deshalb, weil wir beim Thema Oberflächen heute noch viel über externe Anbieter beziehen. Wir sind noch lange nicht am Ziel unserer Wünsche. Da gibt es noch viel zu tun.•
- Wolfgang Pittrich

Estech Industries
5703 Seon, Tel. 062 769 62 00
www.estech.ch


Estech Industries im Profil

1996 übernahm Ernst Sager die Aktienmehrheit der Emil Suter Maschinenfabrik und legte den Grundstein für die Estech-Gruppe. Mittlerweile besteht die Holding aus zehn Firmen: Hartmetall Estech AG, Fischer-Estech, Frech Hoch, Promec Estech, PWR Estech, RCM Estech, Suter Estech, Verzinkerei Wettingen AG, Brun Kransysteme, 3f AG. Der Gruppenumsatz liegt bei etwa 100 Mio. CHF; es werden rund 450 Mitarbeiter beschäftigt.
Lars Wiese: Der studierte Maschinenbauer (49) hat sich in BWL und Marketing weiterqualifiziert und war unter anderem beim Kommunalfahrzeughersteller Bucher-Gruyer in führender Position tätig. Seit 2006 ist er CEO der Estech Industries.