chevron_left
chevron_right

«Generation Carbon 2.0»

Die Öffentlichkeit assoziiert die technische Entwicklung der Composites-Werkstoffe fast ausschliesslich mit Leuchtturmprojekten wie Dreamliner, Airbus 350 oder i3 von BMW. Dass es aber oft gerade die kleinen Unternehmen oder Spin-offs sind, die Schwung in die Szene bringen, zeigt unser Besuch bei der Cross Composite AG in Steckborn: Sie hat die automatisierte Fertigung thermoplastischer Composites mit kurzen Zykluszeiten realisiert und befruchtet zudem so ganz nebenbei die zunehmende Recyclingdiskussion.

Sie sind jung, sie sind cool und sie habens drauf: Nicolas Eguémann (31) und Lian Giger (27) gründeten 2012 die Cross Composites AG als Spin-off der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in Windisch. Initialzündung der Firmengründung war ein Forschungsprojekt aus dem Jahr 2009. An einem konkreten Beispiel sollte gezeigt werden, ob es möglich ist, komplexe 3D-Strukturen aus Composites industriell herzustellen.


Aluminium ist zu schwer und korrosionsgefährdet

Lian Giger skizziert die damalige Herausforderung: «Bisher war es state-of-the-art, dass Leichtbaustrukturen, die mit Verbindungselementen oder Lasteinleitungen zu tun haben, entweder aus Spritzguss hergestellt wurden, oder, wenn es um Hochleistungsprodukte geht, aus CNC-gefrästem Aluminium. Die Nachteile beim Aluminium im Vergleich zu Composites sind die Korrosionsneigung und das hohe Gewicht.»

Objekt der Forschungsarbeit war ein Scharnier für eine Helikoptertüre, gefräst aus Stahl. Die Rahmenbedingungen waren eng gesteckt: Die Composite-Variante musste mindestens die gleichen Festigkeitswerte aufweisen wie das Metallbauteil; sie musste deutlich leichter und industriell herstellbar sein, und sie musste im Sinne einer «Cradle to Cradle»-Betrachtung recycelbar sein.

Speziell letztere Anforderung verwies schnell auf Thermoplaste als Matrix für die Kohlefaser. Gewählt wurde schliesslich mit PEEK (Polyetheretherketon) ein Thermoplast, der bereits für die Aerospace- und Medizinaltechnik zugelassen ist. Entscheidend für die weitere Umsetzung war allerdings die Wahl des Rohmaterials. Während PEEK-Composites normalerweise als Platten vorliegen, entschieden sich die jungen Forscher für die geschnittene Form («chopped tapes»), mit unterschiedlichen Dicken und Längen der Chips.

Herausforderung: Das richtige Formwerkzeug finden

Der Vorteil: Sie können problemlos in ein Formwerkzeug gestreut und zu einer definierten Endform verpresst werden. Wobei es – wie sich Lian Giger erinnert – so problemlos doch nicht abging: «Eine Hauptherausforderung lag darin, herauszufinden, wie ein Formwerkzeug beschaffen sein muss, um den Einfluss der Materialvariabilität so zu determinieren, dass jedes Bauteil die identischen Eigenschaften aufweist.»

Als auch dieser Knoten durchschlagen war, präsentierte man eine Lösung, die es in sich hatte: Auf Basis eines PEEK-Composites entstand ein Strukturbauteil, das es in der Komplexität mit einem Spritzgiessteil aufnehmen konnte, von den physikalischen Eigenschaften her gesehen aber meilenweit davon entfernt ist, wie Lian Giger betont: «Während beim Spritzgiessen die Kohlefaserlänge bei 1 bis maximal 2 mm liegt, verwenden wir Fasern, die bis zu 20 mm lang sind. Und – was noch viel wichtiger ist  – der Faservolumengehalt liegt mit 60 Prozent mehr als das Doppelte über dem, was bei Spritzgussteilen möglich ist. Wir erzielen also eine deutlich höhere Festigkeit und Steifigkeit.»

In Summe, so Giger, «erreichen wird die Festigkeit von Aluminium bei deutlich geringerem Gewicht». In Zahlen ausgedrückt liest sich das beim Beispiel Helikopterscharnier folgendermassen: Während es die Stahlvariante auf 135 g bringt, ist das PEEK-Composite-Teil mit 22 g ein wirkliches Leichtgewicht. Zudem kommt das Pressteil fix und fertig inklusive Gewinde und Lagersitz aus der Form.

Während das Forschungsziel also erreicht und der Nachweis der Machbarkeit erbracht war, sinnierten die findigen Jungunternehmer in spe bereits darüber, wie eine industrielle Umsetzung des Ganzen aussehen könnte. Herausgekommen ist das sogenannte «A-Comp»-Verfahren. Damit wurde der Schritt in die Selbstständigkeit endgültig Realität.

Beim A-Comp-Verfahren werden die verschieden langen und dicken Chips in ein Formwerkzeug eingestreut. Anschliessend kommt das Werkzeug in die Anlage und wird über verschiedene Prozessphasen in die gewünschte Form verpresst.

Gesteuert wird der gesamte Prozess über Druck- und Temperaturparameter, genau abgestimmt auf Pressform und -inhalt. Eine genauere Beschreibung der Anlage wollte man aus verständlichen Gründen öffentlich nicht näher erläutern.

Nur so viel: «Weil wir verstanden haben, was mit Werkzeug und Material passiert, konnten wir die Anlage so optimieren, dass ein automatisierter und reproduzierbarer Prozess entsteht», erläutert Lian

Giger die Anlagenumsetzung.

Die gewählte Anordnung ermöglicht Zykluszeiten, die laut Giger im Vergleich zu konventionellen Verfahren deutlich niedriger sind: «Bei dem Helikopterscharnier konnten wir die Presszeit von rund 90 Minuten auf einige wenige Minuten reduzieren.» 

Noch ist erst eine Anlage bei der Cross Composites AG in Betrieb. Und noch steckt die Marktbearbeitung in den Kinderschuhen. Einsatzgebiete sieht Lian Giger nicht nur im Aerospace-Bereich, sondern auch in der Medizinaltechnik aufgrund der Korrosionsbeständigkeit der Teile.

Erste zarte und auch erfolgsversprechende Kontakte konnten die beiden Jungunternehmer zudem in der Sportartikelbranche knüpfen. Der Vorteil von Leichtigkeit, Steifigkeit und Festigkeit besticht auch hier. Auf der anderen Seite galt es, eine bedeutende optische Klippe zu umschiffen: Die A-Comp-Teile haben so gar nichts gemein mit dem schicken Faserdesign herkömmlicher Composite-Bauteile.

Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, weiss sich die Cross Composite AG auf dem richtigen Weg. Nicht umsonst spricht Lian Giger gerne von der «Generation Carbon 2.0», wenn er auf das A-Comp-Verfahren verweist. Neben den unbestrittenen technologischen Vorteilen bestechen die thermoplastischen Composites nämlich auch durch den Vorteil der Nachhaltigkeit.

Denn im Gegensatz zu den Dreamlinern dieser Welt, von denen noch gar nicht sicher ist, wo sie am Ende ihrer Lebenszeit landen werden, sind die Cross-Composite-Produkte laut Giger vollständig recycelbar: «Die Werkstücke können über Hochspannungsfragmentation ziemlich genau entlang der Fasergrenzen zerlegt werden. Die Eigenschaften der daraus entstehenden Chips sind mit den originalen Ausgangsstoffen nahezu deckungsgleich. Es ist ein Recycling fast ohne Downsizing.»

Eine coole Aussage, die in Zukunft noch viel wert sein könnte. ■

- Wolfgang Pittrich


Cross Composites AG

8266 Steckborn, Tel. 052 762 00 52

mail@crosscomposite.ch

www.crosscomposite.ch

 


TR-Meinung

Noch ist die Cross Composite AG ein Geheimtipp und steht mit ihrem A-Comp-Verfahren am Anfang einer möglichen Erfolgsstory. Wobei man jetzt schon den Hut ziehen muss vor dem, was die beiden Jungunternehmer bisher geleistet haben. Sie bringen eine frische Bise in die Composite-Szene und verdienen es, angehört zu werden – auch und gerade von den Grossen der Branche. - pi