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«Die wirklich Innovativen haben immer die Nase vorne»

Lars Rominger ist Erfinder, Tüftler, Lehrer, erfolgreicher Unternehmer und im Hauptberuf Head of Operational Excellence bei der Gerresheimer Küssnacht AG. TR-Chefredaktor Wolfgang Pittrich sprach mit dem studierten Chemiker über wärmeleitfähige Kunststoffe, Weinveredler und Morphologie. Aber auch darüber, warum Firmenprojekte scheitern, welche Bedeutung die Zeit für ihn hat und wie er Innovationen beurteilt.

Herr Rominger, wie ist eigentlich der Stand der Technik bei Ihrer jüngsten Erfindung, dem wärmeleitfähigen und elektrisch isolierenden Kunststoff «Hot Polymer CF 273»? (Siehe auch TR 1/14, Seite 19 – Anmerkung der Redaktion.)
Hochinteressant. Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch mit einem grossen Unternehmen der Spezialchemie, das angeboten hatte, für uns Messreihen durchzuführen. Des Weiteren produzieren bereits Firmen mit unserem Kunststoff. Zudem ist ein chinesisches Unternehmen interessiert, unser Patent zu kaufen. Auch aus den USA liegt ein Übernahmeangebot vor. Wir, also meine Partner bei diesem Projekt und ich, stehen jetzt vor der Grundsatzfrage: Vermarkten wir das Produkt selbst oder geben wir es in andere Hände? Wobei mir persönlich dann ein europäisches oder amerikanisches Unternehmen am liebsten wäre.

Wie kommt man eigentlich als kleiner Erfinder – ohne jetzt despektierlich zu klingen – dazu, eine Kunststoffrezeptur zu entwickeln, an der grosse Konzerne und Institute sich bereits jahrelang die Zähne ausgebissen haben?

(lacht) Wahrscheinlich bin ich ein Mensch, der gerne Lösungen für Probleme sucht. Das mache ich auch hauptberuflich bei der Gerresheimer Küssnacht AG, wo ich als Head of Operational Excellence Produkte oder Prozesse auf Optimierungspotenzial durchleuchte. Andererseits habe ich mir mittlerweile ein grosses Netzwerk erarbeitet über meine Erfindungen, wie beispielsweise den Laborkoffer, der auch in Universitäten als Lehrmittel dient. Man kennt mich in gewissen Kreisen und stuft daher meine Ideen als seriöse Beiträge ein.

Welche Schritte stehen am Anfang Ihrer Projekte?
Meinem Vorgehen liegt ein Grundprinzip der Physik zugrunde: Jede Materie strebt einen energiearmen Zustand ohne Reibungsverlust an. 

Sie setzen Reibungsverlust mit Problem gleich und den energiearmen Zustand mit der Lösung desselben?

So ungefähr. Ich bediene mich dabei oft des morphologischen Kastens nach Zwicky ...
Aha ...
Fritz Zwicky studierte Anfang des vorigen Jahrhunderts an der ETH Zürich und war auch Student bei Albert Einstein. Mit seinem morphologischen Kasten hat er eine mehrdimensionale Matrix entwickelt, um komplexe Problemstellungen zu lösen. Ganz wichtig dabei ist, dass man aus den eigenen Denkmustern ausbricht und das Undenkbare denkt. Nur dann entsteht etwas zielführend Neues. Daher auch der Spruch: «If it is tricky, call Zwicky.»

Jenseits der Morphologie gehen Sie bei Ihren persönlichen Projekten streng nach Businessplan vor. Das reine Bauchgefühl findet bei Ihnen nicht statt?
Doch. In meiner Nutzwertanalyse betrachte ich zwölf Parameter, die für den Projekterfolg wichtig sind. Einer davon ist das Bauchgefühl. Sollten die anderen Punkte allerdings dagegen sprechen, wird das Projekt sofort begraben. Das Ausfüllen dieses DIN-A4-Blattes dauert eine knappe Stunde. Dann weiss ich, ob ich weitermache oder nicht. 

Wäre dieses Modell nicht auch für Unternehmen denkbar? Man hat ja nicht selten das Gefühl, gewisse Projekte scheitern nur deshalb, weil die Strategie dahinter fehlt.

Ich werde viel zu Projekten zugezogen, wo es bereits lichterloh brennt oder die kurz vor dem Scheitern stehen. Und es ist immer dasselbe Lied: Am Anfang der Projektphase wurde wider besseren Wissens eine Abkürzung gesucht, um schnell einzusteigen und dadurch vermeintlich schneller ans Ziel zu kommen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Denn plötzlich kommt ein smarter Einkäufer und empfiehlt aus Kostengründen ein anderes Material als geplant. Oder die Rezeptur wird umgestellt, weil jemand einen tollen neuen Rohstoff ausgegraben hat. Besteht dagegen ein exaktes Pflichtenheft, könnten sich Dritte nicht hereinmogeln und fatalen Unfug treiben.

Warum passiert es trotzdem immer wieder?
Weil der Druck gross ist, in Aktionismus zu verfallen. Gerade die heutige Zeit mit der medialen Verfügbarkeit rund um die Uhr suggeriert, dass es möglich ist, verschiedene Projektstränge parallel zu starten, auch wenn gewisse Fragen noch gar nicht geklärt sind, nach dem Motto: «Starten wir erst einmal, dann können wir immer noch eingreifen.» Eine konzentrierte Denkarbeit am Anfang, auch aus morphologischer Sicht, ist gar nicht mehr erstrebenswert ...

«Time-to-market» heisst das grosse Zauberwort ...
Wobei es zwei grundverschiedene Zeitbegriffe gibt. Zum einen Chronos, also der lineare Zeitabschnitt, wo es darum geht, in einer bestimmten Zeitspanne möglichst viel zu erreichen. Nicht wenige Entwickler agieren so, ohne die Konsequenzen richtig beurteilen zu können. Dem gegenüber steht Kairos, der richtige Zeitpunkt zum Handeln. Man betrachtet und überlegt ein Problem von vielen Seiten und definiert dann eine Lösungsstrategie sowie den Beginn der Aktion. Das heisst: Zur richtigen Zeit das Richtige tun. Diese Vorgehensweise ziehe ich vor.

Nun sind Sie ja ein wahrer Tausendsassa, wenn es um Ihre Projekte und Erfindungen geht. Neben industriellen Produkten wie dem Hot Polymer oder dem Laborkoffer finden sich auch so exotische Anwendungen wie der «Barriquer» oder eine «Love-Finder»-App in ihrem Portfolio. Macht Sie das in wissenschaftlichen Kreisen nicht ein wenig unseriös?
Meinen Sie, Herr Pittrich? All meinen Projekten liegt ein physikalisches oder chemisches Prinzip zugrunde. Die «Lofi»-Love-Finder-App für iPhone ist letztlich nichts anderes als ein spezieller Katalysator, der Menschen, die sich sympathisch finden, einfacher und schneller zusammenbringt. Oder der Barriquer: Weshalb müssen Weine jahrelang in Eichenfässern reifen, um ein ganz bestimmtes Bouqet anzureichern? Meine Idee lautete: Wie kann ich diesen Prozess auf eine Stunde reduzieren? Dahinter steckt nichts anderes als eine Synthese von Biologie, Chemie und Physik.

Und die Gefahr der Anfeindung seitens Wein-Puristen.
Es gab schon den einen oder anderen Brief, mit dem Hinweis: «Möge Herr Rominger von einer Eiche erschlagen werden und sein unseliges Erbe in einem Barrique-See ertrinken.» Damit muss man leben, wenn man neue Wege geht. Es hat aber auch Publicity gebracht.

Bei vielen Ihrer Aktivitäten arbeiten Sie eng mit Hochschulen oder anderen Unternehmen zusammen. Ist diese unverkrampfte Vorgehensweise schweizspezifisch?
Das ist schwer zu sagen. Es ist sicherlich personenspezifisch aufgrund des grossen Netzwerkes, das ich mittlerweile aufgebaut habe. Aber, es stimmt schon: Die Zusammenarbeit mit anderen Personen oder Unternehmen ist immer lösungsorientiert und basiert auf Vertrauen. Denn offene Innovation kann man nur betreiben, wenn man selbst auch offen ist. Wir schliessen untereinander keine Verträge ab. Da genügt das Wort. Das könnte man schon als schweiztypisch bezeichnen.

Apropos Innovation: Wie definieren Sie diesen Begriff?
Viele verwechseln Innovation mit Evolution. Für mich bedeutet Innovation auch immer wirtschaftlichen Erfolg. Nehmen wir das Beispiel «Hot Polymer»: Es gibt Institute, die auf Basis von Nanomaterialien wesentlich bessere physikalische Werte erzielen. Aber diese Kunststoffe sind nahezu unbezahlbar. Erst wenn sich ein Produkt wirtschaftlich selbst trägt, ist es für mich innovativ und anwendbar.

Viele Unternehmen beschäftigen inzwischen eigene Innovationsmanager oder -abteilungen. Ist das für Sie zielführend?
Ja und nein. Wenn die Unternehmen sofort Ergebnisse dieser Tätigkeit sehen wollen, dann ist es für mich kontraproduktiv. Aber das ist wiederum die Chance von wirklich kreativen Unternehmen, die ihre Ideen reifen lassen, die Grundlagenforschung im grossen Stil betreiben. Denn die wissen genau, auf dieser Basis entstehen wirklich neue Produkte, die so innovativ sind, dass diese Unternehmen immer die Nase vorne haben werden. ■   

Rominger Kunststofftechnik GmbH
6313 Edlibach, Tel. 041 756 03 15
rominger@kunststofftechnik.ch

Wie das systematische Vorgehen bei seinen Projekten aussieht und welche Hilfsmittel er dafür einsetzt, hat Lars Rominger für die «Technische Rundschau» in einem Whitepaper zusammengefasst.