chevron_left
chevron_right

Wenn's durch und durch hart sein soll

Serie Härten von metallischen Bauteilen, Teil 2: Härten wird heute meist als Dienstleistung eingekauft. Aber immer noch ist es eine Kunst, das richtige Verfahren für den richtigen Werkstoff und den richtigen Einsatzzweck in Einklang zu bringen. In einer vierteiligen Serie vermittelt die Härterei Gerster AG als grösster Schweizer Härtereidienstleister einen Einblick in die geforderten Fertigkeiten und gibt wichtige Praxistipps. Teil 2 behandelt die durchgreifende Wärmebehandlung und wie Verzug vermindert wird.

 

Die durchgreifende Wärmebehandlung von Bauteilen wird vor allem zur Steigerung der Festigkeit und Härte angewendet. Was es dabei bezüglich Material- und Verfahrenswahl zu berücksichtigen gibt, zeigt dieser Beitrag. Im Falle von Verzug gilt es, geschickt zu richten. Viel wichtiger sind aber verzugsmindernde Massnahmen im Vorfeld der Härtereitätigkeit.

Die durchgreifenden Wärmebehandlungsverfahren von Halbzeug und Fertigteilen laufen meistens im Vakuum oder in einer Schutzgasatmosphäre ab. Dazu gehören nebst dem Härten und Vergüten (Härten plus Anlassen) auch das Glühen und Auslagern (Ausscheidungshärten). Hierbei tragen vier wichtige Faktoren zum optimalen Ergebnis bei:

  • Materialklasse
  • Zusammensetzung
  • Konstruktion (grosse Radien, gleichmässige Querschnitte)
  • Werkstück-Vorgeschichte, Qualität (mechanisch: Walzen, Schmieden, Giessen; strukturell: Inhomogenitäten wie Seigerungen, also lokale Konzentration von Partikeln und Elementen)

Wählt der Kunde das Material eines neu zu konstruierenden Bauteils in Zusammenarbeit mit der Härterei, kann er Geld sparen und Performance gewinnen. Zum Beispiel stehen bei der gemeinsamen Materialwahl Punkte wie Bauteilanwendung sowie Herstellung inklusive Wärmebehandlung zur Absprache. Hier soll möglichst viel Wissen zwischen dem erfahrenen Härter und dem Auftraggeber oder sogar dem Maschinenbauer in erster Instanz ausgetauscht werden. Die Zusammenarbeit über mehrere Auftragsinstanzen hinweg bringt Kosten- und Zeiteinsparungen und ermöglicht eine Bauteilverbesserung.

Sind die vier oben genannten Einflussfaktoren bestmöglich aufeinander abgestimmt, kann es dennoch notwendig sein, Bauteile nach einer durchgreifenden Wärmebehandlung zu richten. Im Gegensatz zu den thermochemischen Prozessen wie dem Einbringen von nichtmetallischen Elementen in die Werkstückoberfläche zur Performancesteigerung, welche in Teil 3 dieser Serie beschrieben werden, sind die Prozesstemperaturen deutlich höher. Dies birgt entsprechend mehr Verzugspotenzial, welches jedoch nur zu rund 10 Prozent in der Ofenbehandlung selbst gründet.

Das Verzugspotenzial kommt lediglich nach der Wärmebehandlung zum Vorschein. Die Fehlerkette vom Endergebnis bis hin zur Schmelze muss rückverfolgt und hinterfragt werden. Eine gute Gefügeanalyse gibt oft Aufschluss über die Geschichte beziehungsweise strukturelle Homogenität des Werkstücks.

Heutzutage werden Rohmateria­lien nahe der Endmasse gegossen. Das heisst, es folgt nur noch wenig kostenintensives Umformen durch Walzen oder Schmieden. Das birgt die Gefahr, dass schlecht lösliche Elemente im Stahl nicht richtig verteilt werden und zu lokal unterschiedlichen Konzentrationen und Eigenschaften führen. Leider ist das auf dem nach Norm bestellten Stahl-Begleitdokument nicht erkennbar. Dieses bezieht sich lediglich auf die Schmelze und nicht auf das Halbzeug.

Die rein chemisch betrachtete Zusammensetzung der Schmelze garantiert noch keine konstante Belastbarkeit über alle Halbzeugabschnitte hinweg. Spezifische Regulatorien zwischen Stahlhersteller und Kunden können hier zu konstant hoher Qualität verhelfen. Beispiel: Kugellagerstahl 100Cr6 mit eng tolerierter Gefügehomogenität des Halbzeugs, was selbstverständlich seinen Preis hat.

Ein weiterer, oft übersehener Grund für den Verzug sind die in jedem Körper vorhandenen Eigenspannungen. Dies kann man minimieren, indem das Werkstück vorbearbeitet, dann spannungsarm geglüht und anschliessend auf Schleifzugabe bearbeitet wird. Erst danach erfolgt der Härteprozess.

Eigenspannungen sind Zug- und Druckspannungen, die im Inneren eines Werkstücks ohne Einwirkung von äusseren Kräften auftreten und sich im Gleichgewicht halten. Sie werden bereits bei der Stahlerzeugung, dem Umformen oder vor allem bei der zerspanenden Bearbeitung eingebracht. Beim Spannungsarmglühen werden die Stähle langsam auf 450 bis 650 °C erwärmt, 1 bis 2 h gehalten und anschliessend langsam auf Raumtemperatur abgekühlt.

In anspruchsvollen Fällen kann mittels geschickt installierten Fixierungen das Verziehen eingeschränkt werden. «Die richtige Fixierung und Chargierung von zu behandelnden Hohlzylindern bringen die nötigen Form- und Mass­toleranzen für die Weiterbearbeitung. Das spart unnötige, teure Materialzugaben, welche mechanisch wieder abgetragen werden müssen. Bei langjährigen Geschäften der günstigere Weg», weiss Patrick Margraf, Leiter R&D bei der Härterei Gerster AG.

Durchgreifend gehärtete Teile werden eher selten gerichtet, da sie eine grössere Tendenz zu Rissen zeigen als vergütete, partiell gehärtete oder lediglich geglühte Bauteile. Das Rissrisiko kann hierbei, abgesehen von der Fingerfertigkeit des Richters, vor allem durch eine verzugsarme Vorgeschichte des Werkstücks minimiert werden. Auch hier sind Inhomogenitäten des Gefüges risikoreicher Ursprung eines Risses. Typische durchgreifend wärmebehandelte Fälle für die Richterei sind längliche Formen wie Wellen oder Zahnstangen.

Die Frage bleibt, wo das für Härtereikunden kostenrelevante Potenzial liegt? Da die Prozesszeiten im Ofen bauteil- und materialabhängig sind, konzentrieren sich Rationalisierungen im Bereich der Bedienung und Beschickung von Anlagen sowie der optimalen Material- und Verfahrensabstimmung mit dem Kunden. «Die Beschickung der verschiedenen Vorwärm-, Härte-, Reinigungs- und Anlassanlagen geschieht per computergesteuertem Zubringersystem. Das ermöglicht den 24-Stunden-Betrieb der Härterei mit nur einer Arbeiterschicht. Das enge Kundengespräch ist daher für die günstige Auslastung ein wichtiger Kostensparfaktor», sagt dazu Stefan Hählen, Anlagenführer Flugzeugteile-Linie bei der Härterei Gerster AG.

(Der 3. Teil der Serie erscheint in der Oktober-Ausgabe TR 10/14; der 1. Teil erschien in der August-Ausgabe TR 8/14.)


Härterei Gerster AG
4622 Egerkingen, Tel. 062 388 70 00
gersterag@gerster.ch