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Zertifizierung als Steilpass für Cobots

Kollaborative Roboter werden mit Blick auf ihre speziellen Eigenschaften zertifiziert. Trotzdem lässt Schunk seine für «Cobots» konzipierten Greifer zertifizieren. Im Interview erklärt Markus Glück, Geschäftsführer Forschung & Entwicklung bei Schunk, warum dies wichtig ist.

Herr Glück, nach der SVH 5-Fingerhand wurde nun der Co-act EGP-C Greifer für den MRK-Betrieb zertifiziert. Wozu die Zertifizierung einzelner Komponenten, wenn in der Praxis die Anlage als Ganzes zertifiziert werden muss?

Aktuell setzen sich viele Anwender mit dem Thema MRK auseinander, bislang sind aber nur wenige Applikationen realisiert. Das Thema ist für die Hersteller von Robotern, End-of-Arm-Tools und Sensoren, für die Anwender und für Zertifizierer neu. Der Weg zur Zertifizierung kann bei Applikationen ohne Erfahrungswerte ziemlich herausfordernd sein. Hier setzen wir an: Wir begleiten Anwender mit unserem Know-how und unsere zertifizierten Komponenten minimieren den Aufwand bei der Zertifizierung des Systems.

 

Warum ist der Zertifizierungsprozess so aufwändig?

Wird eine Anlage für den MRK-Betrieb zertifiziert, muss nachgewiesen sein, dass der Bediener beim Kontakt nicht verletzt wird. Hier greifen die Schutzprinzipien von DIN EN ISO 10218-1/-2, DIN EN ISO/TS 15066 und der Maschinenrichtlinie, die vorschreibt, dass die Gefahr für den Menschen zu betrachten und die Risiken zu bewerten sind. Es gilt, präzise zu analysieren: Welche Arbeitsräume existieren? Welche Risiken bestehen? Wo müssen Arbeitsräume eingeschränkt werden, um Verletzungen auszuschliessen? Das geht nur, indem jede Applikation individuell betrachtet wird: Komponenten, Aufgaben, Werkstücke, Sicherungssysteme.

 

Gibt es spezielle Sicherheitsbedenken oder Ängste in Bezug auf die Greifer für MRK-Anwendungen?

Das haben wir bisher nicht erlebt. Neugierde und Begeisterung dominieren. Nutzer begegnen intelligenten Systemen spielerisch, testen, wann Sicherheitstechnologien anspringen, wie sich das System verhält. So gewinnen sie Vertrauen.

 

Wo liegt dann die Herausforderung?

So komplex wie der Mensch sind auch die Aspekte der Mensch-Roboter-Kollaboration. Nur die Normen zu erfüllen genügt hier nicht. Diese fordern nur, dass weder eine Maschine beschädigt noch ein Bediener ernstlich verletzt werden darf. Das reicht bei weitem nicht aus. Stellen Sie sich vor, ein MRK-System würde den Bediener 100 Mal am Tag stossen. Selbst wenn er dabei nicht verletzt würde, hätte das System keine Chance auf Akzeptanz. Es gilt, den Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen, nicht das technische System. Der Greifer muss sich dem Menschen anpassen – nicht umgekehrt.

 

Ist ein solcher Greifer nicht zu komplex?

Komplexe Systeme müssen heute nicht mehr kompliziert sein. Mit Smartphones gehen Kinder völlig selbstverständlich um, schreiben Nachrichten, surfen, schauen Filme, machen Videos, nutzen es als Taschenrechner – ohne nachzudenken, wie das Gerät funktioniert. Neues wird intuitiv ausprobiert. Dieses Ziel verfolgen wir mit dem Greifer Co-act JL1: Er soll gerade aufgrund seiner Komplexität im Innern von aussen möglichst intuitiv nutzbar sein.

 

Beschreiben Sie bitte die Sicherheitsaura des Greifers.

Die im Co-act JL1 verbaute Sensorik registriert Annäherungen von Menschen und ermöglicht eine situationsabhängige Reaktion ohne Berührung. Sie ist in drei Zonen aufgeteilt: Jeder Finger für sich sowie das Gehäuse bilden jeweils eine eigene Zone und detektieren unabhängig voneinander Annäherungen. So ist es möglich, über das sukzessive Auslösen der Sensorik in den beiden Fingern die Richtung der Annäherung zu ermitteln und daraus eine Ausweichbewegung des Roboters abzuleiten. Über die in den Greifer integrierte, frei programmierbare Steuerung können die Reaktionen vorverarbeitet und als Signal an die SPS geschickt werden, damit sie die Geschwindigkeit um 25, 50 oder 75 Prozent reduziert oder stehenbleibt. Ist klar, aus welcher Richtung die Annäherung erfolgt, ermöglicht dies eine vordefinierte Ausweichstrategie.

 

Welche Technologie steckt dahinter?

Wir nutzen mehrere Systeme parallel: Das elektrische Feld einer kapazitiven Sensorik um den Greifer erkennt stark wasserhaltige Substanz wie die menschliche Hand und kann diese bei ihrer Annäherung von Bauteilen unterscheiden. Eine zweite Ebene bildet die Kraft-Moment-Sensorik im Flansch: Sie registriert jede wirkliche Kollision und stoppt den Roboter. Es lassen sich Zusatzfunktionen realisieren: Wir können ermitteln, ob ein Glas voll oder leer ist, ob und wie Werkstücke gegriffen wurden. Taktile Sensoren bilden die dritte Ebene. Sie ist vergleichbar mit dem menschlichen Tastsinn und erfasst ortsaufgelöst einzelne Berührungen und grossflächige Druckverteilungen. Mithilfe intelligenter Algorithmen zur Mustererkennung können so Objekte beim Greifen identifiziert und der Griff reaktiv angepasst werden.

 

Was sollen Greifer wie der Co-act JL1 morgen können?

Langfristig gehen wir davon aus, dass Greifer ähnlich wie die menschliche Hand selbständig in der Lage sein werden, die Lage und Orientierung der gegriffenen Bauteile in sechs Freiheitsgraden zu manipulieren. Mit dieser «lnhand-Calibration» werden sich sehr flexible, autonome Greifszenarien realisieren lassen. (msc)

 

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