chevron_left
chevron_right

«Herausforderung ist die Datenqualität»

Inwieweit kann Künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft industrielle Prozesse beeinflussen? Welche Voraussetzungen sind dazu notwendig? Unter anderem mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich auf dem Swissmem Symposium ein Vortrag der Supsi (Fachhochschule Südwestschweiz – Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana). Emanuele Carpanzano, Direktor des Departements für Innovative Technologien, gibt Auskunft über Vorurteile sowie Möglichkeiten und Grenzen, wenn es um KI im MEM-Umfeld geht.

Professore Carpanzano, viele Menschen fühlen sich unwohl, wenn in einem Satz die Begriffe «Künstliche Intelligenz», «Maschinen» und «Roboter» fallen. Zu Recht oder zu Unrecht?

Das Problem mit Künstlicher Intelligenz ist, dass emotionale Vorbehalte bestehen, weil befürchtet wird, dass in Zukunft die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz übertreffen und ersetzen könnte. Das ist aber nicht das Wesen von Künstlicher Intelligenz. Es handelt sich hierbei um Methoden, mittels Algorithmen für ganz spezifische Aufgabenstellungen Lösungen oder Optimierungen zu finden. Aber im Gegensatz zum Menschen kann KI nicht eigenständig kreativ werden.


In den Medien taucht immer wieder der Begriff der «Singularität» auf. Also der Zeitpunkt, ab dem die Maschinen intelligenter werden als die Menschen. Was ist davon zu halten?

An dieser Stelle macht es Sinn, den Begriff Intelligenz zu definieren. Für mich heisst Intelligenz, man erfindet etwas Neues, das es früher noch nicht gegeben hat. Dazu braucht man Emotionen, Flexibilität und kognitive Fähigkeiten. Also Begrifflichkeiten, die nicht zur digitalen Welt der Algorithmen gehören. Dort fehlen schlicht und einfach die Fähigkeiten, die unser Gehirn hat, nämlich Impulse von aussen selbstständig zu verarbeiten und daraus etwas Neues abzuleiten. Ein Computer kann zwar lernen, sehr gut Schach zu spielen, besser sogar als ein Mensch. Denn beim Schachspiel sind die Regeln zu 100 Prozent genau festgelegt. Sobald sich die Regeln aber ein klein wenig ändern, kann der Computer nicht mehr direkt sinnvoll darauf reagieren. In unserem täglichen Leben ändern sich die Regeln aber ständig und permanent. Ich weiss deshalb nicht, ob wir in Zukunft die sogenannte Singularität jemals erleben werden. Falls doch, dann sicherlich nicht durch das, was wir heute Künstliche Intelligenz nennen. Diese Algorithmen bewegen sich in einer relativ einfachen Datenwelt, die mit der komplexen und komplizierten Welt der Menschen nichts zu tun hat.


Trotzdem ist die Befürchtung vorhanden, dass sich durch Machine learning und intelligente Robotersysteme tradierte Arbeitswelten verändern, Arbeitsplätze auch verschwinden werden.

Natürlich werden wir in Zukunft durch die Digitalisierung einen Arbeitsplatzverlust erleben. Das gilt aber primär für Tätigkeiten, die schon heute ungern von Menschen übernommen werden, weil sie monoton oder körperlich anstrengend sind. Wenn wir verstehen, Künstliche Intelligenz sinnvoll zu nutzen, werden wir zwar andere, aber auch bessere Arbeitsplätze bekommen. Dazu genügt ein Blick auf die Automobilindustrie. Durch die zunehmende Automatisierung sind dort in den letzten 20 Jahren viele körperlich schwere und monotone Arbeitsplätze verschwunden. Eine Folge war, dass die Modellvielfalt deutlich gestiegen ist und dadurch wiederum andere Arbeitsplätze entstanden sind. In Summe gibt die Automotive-Industrie immer noch sehr vielen Menschen Lohn und Brot.


Auf welchen Feldern forscht die Supsi in Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz?

Wir beobachten verschiedene Anwendungen in unterschiedlichen Branchen. Wir können beispielsweise in einem EDM-Prozess (Funkenerosion – Anmerkung der Redaktion) über Machine learning die Maschinenparameter verbessern, wenn wir genügend gute Daten zur Verfügung haben. Diesen Prozess zu optimieren ist sehr aufwendig, da viele Einflussfaktoren wie Funkenüberschlag, Dieelektrikum, Material oder Rauchentwicklung einwirken. Deshalb ist es noch heute üblich, dass erfahrene Bediener diesen Prozess beurteilen und die Maschinenparameter bestimmen. Wenn wir nun genügend und ausreichend gute Daten zur Verfügung haben, können wir über künstliche neuronale Netze den Prozess ebenfalls bestimmen und optimieren. Die Herausforderung lautet, eine gute Datenqualität zu bekommen.


Aber an Daten zu kommen, dürfte doch mittlerweile kein Problem sein.

Generell ist es so, dass wir zwar sehr viele Daten generieren können, aber darunter sind nur sehr wenig qualitative, das heisst, für unsere Zwecke brauchbare und weiterverwendbare Daten. Aber nur damit können wir über Verfahren der Künstlichen Intelligenz bestimmte Herausforderungen analysieren und lösen. Wir müssen die Aufgabenstellungen sehr gut in der digitalen Welt beschreiben können. Zudem ist es nicht ganz trivial, die richtige KI-Methode zu finden, um den Prozess dann auch beurteilen und verbessern zu können. Denn die über KI erzielten Resultate sollen ja besser sein als die durch menschliche Empirik erzielten Ergebnisse – und möglichst auch wirtschaftlicher. So nutzen wir in der Steuerungs- und Regelungstechnik kaum KI-Methoden, sondern leiten Optimierungsprozesse meist von rein logischen Überlegungen ab, die von der Physik oder Mechanik vorgegeben werden. Künstliche Intelligenz hilft uns hier nicht wirklich weiter.


Aktuell werden sehr viele Mittel für die KI-Forschung zur Verfügung gestellt ...

Das stimmt. In den nächsten Jahren plant alleine die EU Forschungsgelder von mehreren Milliarden Euro in diesen Bereich zu pumpen. Gleichzeitig besteht unter den Wissenschaftler Einigkeit, dass wir in den nächsten fünf Jahren europaweit maximal ein KI-Niveau erreichen, dass der Intelligenz einer Eidechse entspricht. Immerhin. Zwar kann eine Eidechse nicht Schach spielen, aber sie kann sich eigenständig in vielen Freiheitsgraden bewegen sowie äussere Einflüsse erkennen und darauf reagieren.  


Von welchem Verbesserungspotenzial sprechen wir generell, wenn Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt? Geht es in Richtung 20 oder 30 Prozent?

Wir erkennen in den nächsten Jahren durchaus die Chance, Abläufe, die heute über menschliche Aktivitäten oder Sensorik gesteuert werden über Machine-learning-Aktivitäten zu optimieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist Predictive Maintenance. Dort können wir Algorithmen nutzen, um besser zu verstehen, wann und warum wir Instandhaltungsprozesse durchführen müssen. Die Verbesserungspotenziale liegen dabei im unteren einstelligen Prozentbereich. Wir sprechen also nicht von Quantensprüngen.


Welchen Beitrag kann die Schweiz hier leisten?

Das müssen wir differenziert betrachten. Im Bereich der Grundlagenforschung werden Grossunternehmen wie Google, die ja von sich selbst behaupten kein Internet- sondern ein KI-Konzern zu sein, die Nase vorne haben. Die Schweiz hat dagegen einen grossen Vorteil, wenn man sich die anwendungsbezogene Forschung ansieht. Wir haben auf der einen Seite eine hochentwickelte MEM-Industrie, die bereit ist, sich auf diesem Gebiet zu engagieren. Und auf der anderen Seite gibt es Forschungsinstitute, die eine führende Stellung einnehmen. Wichtig scheint mir, dass wir sehr schnell einen Schulterschluss von Forschung und Industrie bekommen, um einen Wettbewerbsvorsprung zu erreichen. Hier sollten wir uns nicht auf einen zu bequemen Weg einstellen.

Wolfgang Pittrich


Die beschriebene Thematik wird im Vortrag «Industrial perspectives through artificial intelligence» von Prof. Luca Maria Gambardella, Supsi, angesprochen, den er am 23. August um 15:30 Uhr hält.

 

Departement für innovative Technologien, Supsi   

6928 Manno, Tel. 058 666 65 11

dti@supsi.ch, supsi.ch/dti