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Swissmem Symposium: Digital in eine bessere Zukunft?

Rund 160 Entscheider aus Industrie, Forschung und Institutionen waren dem Ruf des 16. Swissmem Symposiums in das Lake Side Zürich gefolgt. Die Erwartungen waren gross, denn das Motto der Veranstaltung bewegt die Schweizer MEM-Branche aktuell wie kaum ein anderes Thema: «Schweizer Industrie im digitalen Zeitalter – neue Geschäftsmodelle, Datenmonetarisierung & maschinelles Lernen». Die Technische Rundschau war vor Ort und fasst die Ergebnisse zusammen.

Es sind Zeiten wie diese, die im Rückblick zu den Schlüsselmomenten der modernen industriellen Entwicklung zählen werden. Die digitale Transformation bricht sich langsam aber sicher ihre Bahn; die Industrie erkennt mittlerweile mehr Chancen als Risiken. Es war deshalb nur folgerichtig, dass sich das diesjährige Swissmem Symposium mit den zukünftigen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Schweizer MEM-Industrie beschäftigt. Wobei nicht nur der Frage nach der möglichen Datenmonetarisierung – als zwar wichtige, aber nicht allein treibende Kraft – nachgegangen wurde, sondern man sozusagen in einem Aufwasch auch die Auswirkungen der immer präsenteren Künstlichen Intelligenz diskutierte.

Jean-Pilippe Kohl, Direktor a.i. Swissmem, zieht zwar in seinem Vortrag den Schluss, dass die digitale Transformation in der Schweizer MEM-Industrie angekommen ist. Er sieht aber gleichzeitig noch viele Fragezeichen für die Unternehmen, wenn es darum geht, wie sie wirklich zu nutzen ist. So hatten die Swissmem-Mitglieder vor zwei Jahren in einer Umfrage noch ganz klar die eigene Effizienzsteigerung als mögliches Ziel angegeben. Auf die gleiche Frage antworteten die Unternehmen in der aktuellen Befragung vom Frühjahr des Jahres, dass die Schaffung eines zusätzlichen Kundennutzen im Vordergrund stehen sollte. Die Effizienzsteigerung landete nur noch auf dem vierten Platz.

Die Branche ist also in Bewegung. Jenseits der noch nicht ganz klaren Vorstellung, wohin die Reise letztlich geht, erkennt Swissmem-Direktor Kohl eine neue Generation von Produkten und Dienstleistungen am Entstehen. Wobei für den Werkplatz Schweiz die Digitalisierung nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie mit der Vermarktung physischer Produkte zusammenspielt.

Schöne neue Welt also? Mitnichten wie David Marmet, Chefökonom Schweiz der Zürcher Kantonalbank (ZKB) in seinen Ausführungen konstatiert: «Produktivitätssteigerungen aufgrund der Digitalisierung sind auf Unternehmens­ebene sichtbar, auf gesamtwirtschaftlicher Ebene – noch – nicht.» Wobei das nur eine Thematik ist, die aus seiner Sicht im Sog der Digitalisierung aufgewirbelt wurde. Denn wie bei jeder industriellen Revolution poppt auch hier die Gretchenfrage auf: «Geht uns die Arbeit aus?». Seine Meinung: «Berufe werden verschwinden, die Arbeit aber nicht.» Existenziell ist in diesem Zusammenhang die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen. Und dafür sieht er die Schweiz bestens gerüstet.

Doch wie bereitet man sich als Unternehmen real auf die Herausforderungen der Digitalisierung vor – und wie profitiert man von ihr? Andreas Rauch, Head of Digital Transformation bei der GF Machining Solutions, definiert zwei Handlungsfelder: «Einerseits die technische Implementierung einer industriellen IoT-Umgebung, welche vom Maschineninterface, der Maschinenumgebung über die Konnektivität bis hin zur cloudbasierten Datenanalyse die nötige technische Plattform bereitstellt. Andererseits erfordert die Digitalisierung in fast allen Bereichen einen grundlegenden Kultur- und Gesinnungswandel.» Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Risikobereitschaft und eine positive Fehlerkultur heissen die Schlagwort dazu. 

In Summe, so Andreas Rauch, sind Veränderungen in der Organisation und bei den Prozessen und Methoden notwendig, «um eine Transformation von der stark technologiegetriebenen Produktentwicklung hin zu Lösungen voranzutreiben, die sich konsequent am Kunden und dem Markt ausrichten.»

Wesentlich für die erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation ist jedoch, dass die Protagonisten, also Maschinen und Anlagen, problemlos miteinander kommunizieren können. Für Alexander Broos, Leiter Technik des Vereins Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW), leider noch keine Selbstverständlichkeit: «Um die Daten aus den Maschinen in übergreifende IT-Systeme wie MES, ERP oder Cloudspeicher zu bringen, braucht es offene, transparente Schnittstellen. Und die existieren derzeit leider nicht. Deshalb hat der VDW eine Initiative begründet, um ein offenes Verbindungssystem für verschiedene native und proprietäre Schnittstellen zu schaffen.»

Diese Initiative, in der unter anderem auch Schweizer Unternehmen wie United Grinding Group, GF Machining Solutions und Pfiffner involviert sind, ist gezielt ausgerichtet auf den internationalen Markt: «Der Werkzeugmaschinenmarkt ist global und erfordert ebensolche Standards.» Deshalb wird nicht nur mit OPC-UA-Schnittstellen gearbeitet, sondern auch mit bestehenden Spezifikationen wie MT Connect. Bis zur EMO Hannover 2019 sollen erste Demonstrationsanwendungen stehen.

Doch wie sieht es mit dem Schutz dieser Daten aus, die bereits heute und noch mehr in Zukunft von zigtausenden Werkzeugmaschinen und Sensoren erfasst werden? «Es gibt sie nicht, die 100-prozentige Sicherheit, aber es gibt hervorragende Möglichkeiten Hackern den Zugriff so schwer wie möglich und dadurch unattraktiv zu machen», beschreibt Ronny Weinig die Sachlage. Der Leiter Digital Services der Siemens Schweiz AG skizziert die Notwendigkeit, aber auch die bereits vorhandenen Abwehrstrategien, um gegen Datenklau vorzugehen: «Vor allem Produktionsprozesse und ICS-Leitsysteme bieten immer neue Angriffsflächen und benötigen ein besonders hohes Schutzniveau. Dagegen hilft ein wirkungsvolles Schutzkonzept, das aus mehreren Ebenen besteht und Industrieanlagen gegen Angriffe aus allen möglichen Richtungen schützt.» 

Defense-in-Depth als tragfähiges Cyber-

Security-System

Unter dem Stichwort «Defense-in-Depth» stellt er ein tragfähiges Sicherheitkonzept vor, das auch bereits im Siemens-Werk im deutschen Amberg, das als Vorzeigebeispiel für eine digitale Fabrik gilt, zum Einsatz kommt.  

Während Unternehmen noch darüber rätseln, ob man überhaupt Daten erheben soll und welchem Zweck sie in Zukunft dienen können, ist Dawex bereits mitten in der Daten-Ökonomie angekommen. Das Unternehmen sieht sich als Marktplatz für die Monetarisierung und den Kauf von Daten – ohne selbst Daten zu erheben. Anthoine Dusselier, US Operations Manager des französischen Unternehmens, erklärt das Prinzip dahinter: «Auf Dawex können sich Unternehmen in einem sicheren Umfeld austauschen und kennenlernen, Daten kaufen oder verkaufen. Dies geschieht ohne Vermittler.» Aktuell nutzen bereits über 4500 Unternehmen die Plattform, davon über 450 Unternehmen mit einer Bilanzsumme von über USD 1 Mrd. aus mehr als 20 verschiedenen Industriezweigen. Aber auch KMU und datengetriebene Startups suchen Geschäftskontakte über die Datenplattform.

KI als Schlüsseldisziplin der digitalen Transformation

Am Nachmittag ging es im Lake Side ans Eingemachte. Mit ihren Referaten zur Künstlichen Intelligenz und der Vision, welche Auswirkungen der freie Datenverkehr auf die Industrie der Zukunft haben kann, entführten Luca Maria Gambardella, Idsia, und Alessandro Curioni, IMB Research, die Anwesenden in eine andere Welt. Gambardella, der als Direktor des Instituts für Künstliche Intelligenz der Supsi, Lugano, eine sehr hohe Reputation geniesst, sieht die Künstliche Intelligenz (KI) als eine Schlüsseldisziplin der digitalen Transformation: «Dank der grösseren Verfügbarkeit von Daten und der stetig wachsenden Rechenleistung ist es möglich, dynamische, selbstlernende Systeme zu entwickeln.»

Eindrucksvoll demonstrierte er die Möglichkeiten von KI beim Einsatz von autonom fliegenden Drohnen oder – abgeleitet von der Schwarmintelligenz der Ameisen – für das Auffinden schneller Logistikrouten. Auch Werkzeugmaschinenhersteller gehören bereits zu seinen Auftraggebern. Er weiss aber auch: « Die aktuell grössten Herausforderungen für die Industrie sind zu verstehen, wann und wo diese Lösungen eingesetzt werden können, um innovative Produkte zu entwickeln, die Herstellungsprozesse zu optimieren und neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen.» Nicht umsonst plädiert er für eine engere Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie, um Forscher und Unternehmen gleichermassen zu motivieren. 

Welche Verhaltenskodizes ein Unternehmen in Zukunft berücksichtigen muss, um sich seriös in der Welt der Daten bewegen zu können, stellt Alessandro Curioni, Vizepräsident Europa und Direktor IBM Research Zürich, zur Debatte. Vertrauen und Vertrauensverlust, heissen dazu die Schlagworte. Dabei ist der Gesetzgeber genauso gefordert wie es Unternehmen sind: «Kunden, nicht Regierungen, sollten festlegen, wo ihre Daten gespeichert und wie sie verarbeitet werden.» Gleichzeitig sieht er durch das Aufkommen der Daten-Ökonomie die Notwendigkeit einer neuen Unternehmenskultur: «Wir müssen sicherstellen, dass Arbeitskräfte weltweit darauf vorbereitet sind, wie Daten Arbeitsabläufe verändern und Produktivität, Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze voranbringen. Wir arbeiten mit politischen Entscheidungsträgern an einer Modernisierung des Bildungssystems, um den Fokus statt auf spezifische Bildungsabschlüsse auf nachgefragte Kompetenzen zu legen und so mehr Nachwuchs für neue Berufsprofile heranzuziehen.»

 

Der Gastkommentar von Christoph Blättler, Swissmem

 

Anwendung und Lehre

 

Die allermeisten Teilnehmer des Swissmem Symposiums der Auflage 2018 haben nicht nur das «Kaiserwetter» samt Alpenfernsicht genossen, sondern auch die hohe Qualität der gebotenen Fachbeiträge. «Wie üblich» oder «einmal mehr» ist man versucht zu sagen. Der Fachbeiträge wegen waren sie ja auch alle gekommen, diese an die 160 Persönlichkeiten aus der produzierenden Industrie und zugewandter Orte. Die einen fanden den Morgen spannend, die anderen eher den Nachmittag toll. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass einige Beiträge des Morgens sehr konkret und praxisnah waren wobei am Nachmittag dann zuweilen eher die Akademia übernahm. 

Nach der pragmatischen Einführung des Swissmem-Direktors Jean-Philippe Kohl und der ökonomischen Analyse, welche gesamtwirtschaftlichen Implikationen denn die digitale Transformation haben mag, durch den Chefökonomen Schweiz der ZKB, David Marmet, wurde es ganz handfest und konkret. Die Herren Andreas Rauch von GF Machining Solutions und Alexander Broos vom VDW zeigten mitunter wortgewaltig und offenkundig fachdetailversiert einige der Herausforderungen bei der Vernetzung von Werkzeugmaschinen im Produktionsprozess auf. Für jemanden, der sich einigermassen mit dieser Materie befasst, wie eine angemessen dicke Scheibe Terrine de Foie gras bien marbrée mit Sauternes Gelée für den Gourmet.

Nach dem Mittagessen in Sommerferienatmosphäre bei ebensolchen Temperaturen auf der Terrasse am See wurden die Teilnehmer für die moderierte Diskussion über die Event-Webseite eingebunden. Fragen konnten über das Smart Phone gestellt und bewertet werden. Gehört sich doch für eine Veranstaltung in welcher die Industrie sich über das Agieren im digitalen Zeitalter austauscht. Moderator Reto Lipp ging auch mit diesem Umfeld souverän um und gestaltete sowohl das Gespräch zum Thema «Zwischen Utopien und realistischen Schritten vorwärts» nach dem Mittag wie auch das Schlussgespräch über den Verwirklichungsgrad von Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz sehr informativ, relevant und unterhaltsam.

Bei all diesem Austausch und Datenaustausch kann und darf das Thema Cyber-Security nicht fehlen. Ronny Weinig von Siemens, einem der grossen Player im I4.0-Theater, gab praktische Hinweise und Vorgehensempfehlungen. Da fast jedermann heute von Datenmonetarisierung und neuen Businessmodellen spricht, war mit Anthoine Dusselier ein Vertreter einer relativ neuen Art von Dienstleitungserbringer vor Ort. Er machte die Zuhörer mit den Services einer Datenbörse vertraut. Ich hoffe, der eine oder andere Werkzeugmaschinenhersteller macht sich nun mal Gedanken im Sinne: «Habe Daten – suche wen, der diese sucht».

Das Schlussbouquet war südländisch geprägt. Mit viel Verve und Italianitá brachte zunächst Professore Gambardella vom Institut Dalle Molle für künstliche Intelligenz in Lugano den Leuten vor Ort näher, welche Kompetenzen für Entwicklungen im Bereich KI im Tessin vorhanden sind. Zum Abschluss zeigte der Direktor von IBM Research Rüschlikon, Alessandro Curioni, in den grösseren Linien auf, wohin die Reise in Sachen Datenhandling, Computing und Künstlicher Intelligenz aus Sicht einer weltumspannenden Firma des computertechnischen Urgesteins geht. Wenn da nicht für jeden an der Materie Interessierten was mit dabei war?

 

 

Weitere Informationen zu den Vorträgen und Bilder zum Symposium gibt es unter swissmem-symposium.ch