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Interview Jürg Marti, Swissmechanic: «Industrialis: Branche soll sich dort wiederfinden»

Der Branchenverband «Swissmechanic» hat im August diesen Jahres Jürg Marti zum neuen Direktor berufen. Kein leichtes Amt in diesen herausfordernden Zeiten. TR-Chefredaktor Wolfgang Pittrich hat die traditionelle 100-Tage-Frist verstreichen lassen und dann um ein Gespräch gebeten. Neben den Megathemen digitale Transformation, Fachkräftemangel und Werkplatz Schweiz der Zukunft sprach man unter anderem auch über die neue Messe

«Industrialis».

Herr Marti, nach 100 Tagen im Amt: Wie fühlt es sich an, neuer Direktor von Swissmechanic zu sein?

Ich bin sehr gut aufgenommen worden, sowohl von der Geschäftsstelle wie auch von unseren Mitgliedern. Und die Branche ist mir ja durchaus bekannt, insbesondere aus meiner früheren Tätigkeit im Kanton Solothurn. Ich durfte dort gut sechs Jahre als Leiter der kantonalen Wirtschaftsförderung einen sehr engen Kontakt mit den KMU pflegen, unter anderem mit Unternehmen aus dem Umfeld Präzisions- und Mikrobearbeitung, Stichwort: Uhrenindustrie. Aber auch Themen wie digitale Transformation oder Predictive Maintenance sind mir gut bekannt, weshalb mir der Gedanke der industriellen Vernetzung nicht fremd ist.

 

Dann scheinen Sie auf jeden Fall gut vorbereitet auf die kommenden Aufgaben; denn speziell die digitale Transformation wird Sie eng auf Ihrem zukünftigen Weg begleiten. Aktuell, so scheint es, herrscht hier eine grosse Verunsicherung unter den Unternehmen, in welche Richtung es weitergeht.

Natürlich bemerken wir, dass die Diskussionen um digitale Transformation und neue Geschäftsfelder die Branche bewegt. Und Veränderung bedeutet immer zugleich Verunsicherung. Das habe ich in meinem bisherigen Berufsleben immer wieder erlebt. Bei diesem Veränderungsprozess stehen wir von Swissmechanic unseren Mitgliedern unterstützend zur Seite, sind Sparring-Partner, damit unsere Branche den bestmöglichen Vorteil aus diesem technologischen Wandel ziehen kann.

 

Es stellt sich für Sie also gar nicht mehr die Frage, ob man in die digitale Transformation einsteigen soll, sondern anscheinend nur noch, wie man am besten einsteigt?

Der Einstieg ist bei vielen Unternehmen bereits erfolgt. Wir können hier Hilfestellung auf zwei Ebenen leisten. Erstens muss sich der Unternehmer und sein Unternehmen mit seinen Produkten oder Angeboten den neuen Herausforderungen stellen; zweitens muss er auch seine internen Abläufe den neuen Gegebenheiten anpassen. Das kann weitreichende Konsequenzen für das Unternehmen selbst, aber auch für bestehende Geschäftsmodelle haben. Mit unseren Seminaren, Weiterbildungsangeboten oder unserem Business Day, der jeweils im Herbst stattfindet, können wir die Branche begleiten, sensibilisieren und Entscheidungshilfen geben: Wie positioniere ich mein Unternehmen in der Zukunft? Wo liegen die Chancen in dem Markt, in dem ich tätig bin?

 

Wie sieht es bei den angesprochenen internen Prozessen aus?

Auch hier können und müssen wir die Branche begleiten, beispielsweise, wenn es heisst, die Buchhaltung elektronisch aufzugleisen oder organisatorische Abläufe in Richtung Lean Management zu orientieren. Übrigens ein enorm wichtiges Thema, das wir auch hier in der Geschäftsstelle praktizieren. Da werden Abläufe und Aufgabenkompetenzen teilweise völlig umdefiniert bis hin zur Neuverteilung von Verantwortungen. Denn die digitale Transformation hat nicht nur Auswirkungen auf Produktionsprozesse oder Geschäftsmodelle, sondern in letzter Konsequenz auch auf das soziale Gefüge im Unternehmen. Man benötigt eine andere Führungsqualität. Das heisst: Wir möchten unsere Mitglieder dafür sensibilisieren, dass im Rahmen der digitalen Transformation zwar die Technik eine tragende Rolle spielt, aber ebenso das soziale Miteinander und die Mitarbeitenden überhaupt.

 

Apropos Mitarbeitende: Es mehren sich die Stimmen bei den Unternehmen, dass die aktuelle Ausbildung, beispielsweise zum Polymechaniker, in Hinblick auf die Digitalisierung nicht mehr zeitgemäss ist. Wie sieht das Swissmechanic?

In der Tat, das ist ebenfalls ein Thema, das wir aktuell angehen. Im Rahmen der Fünfjahresüberprüfung der technischen MEM-Berufe machen wir uns gerade sehr intensiv Gedanken, wie die Berufsbilder anzupassen sind. Die Herausforderungen sind gross. Nicht nur, was die demographische Entwicklung angeht, sondern auch, weil in den nächsten Jahren ein gros-ser Know-how-Verlust droht, da sich viele kompetente Berufsleute in den Ruhestand verabschieden. Parallel dazu verschärft sich der Wettbewerb der Ausbildungsstätten, also Gymnasium versus Berufslehre.

 

Wie beurteilen Sie diese Gemengelage?

Für einen Hochtechnologiestandort wie die Schweiz wäre es kontraproduktiv, wenn man sich nur noch auf Engineering sowie Forschung und Entwicklung konzentrieren und die Produktion vernachlässigen würde. In diesem Zusammenhang macht es mir schon ein wenig Sorge, dass in der MEM-Branche aufgrund kurzfristiger Managemententscheidungen Arbeitsplätze ins vermeintlich günstigere Ausland verlagert werden, ohne zu reflektieren, dass gerade in der produzierenden Industrie letztlich im Produktionsumfeld der Nachwuchs für die Kaderebene und die Hochschulen generiert wird. Mittelfristig fehlt dann plötzlich die fachliche Basis, um zukünftige und immer komplexere Wertschöpfungsketten adäquat bedienen zu können.  In diesem Zusammenhang kann man den Unternehmern nur grössten Respekt zollen, die immer wieder ihr eigenes Geld in die Hand nehmen, um in den Werkplatz Schweiz zu investieren. Damit tragen sie auch zur volkswirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes bei.

 

Wobei momentan die Investitionsneigung wahrscheinlich höher sein dürfte als noch vor drei Jahren, kurz nach dem Schock der Wechselkursfreigabe durch die SNB. Die Lage der MEM-Industrie sieht aus heutiger Sicht nicht so schlecht aus.

Ich bin stolz darauf, dass unsere Branche den Wechselkursschock vom 15. Januar 2015 so gut gemeistert hat. Aktuell sind die Auftragsbücher auch gut gefüllt. Aber, und das zeigen unsere Quartalsumfragen recht deutlich, es hat eine nicht zu unterschätzende Margenerosion stattgefunden. Das heisst, nicht wenige Unternehmen stehen vor dem Problem, die notwendigen Mittel zu erwirtschaften, um Investitionen in kommende Herausforderungen wie die Digitalisierung erfolgreich tätigen zu können. Das müssen wir sehr genau beobachten und allenfalls auch auf politischer Seite thematisieren.

 

Kommen wir zu einem anderen Thema: Swissmechanic hat sich recht deutlich – und auch ein wenig überraschend – für die neue Messe Industrialis positioniert, die erstmals in diesem Jahr stattfindet. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge aus Ihrer Sicht?

Wir sind absolut überzeugt von dieser Messe und auch guten Mutes, eine erfolgreiche Veranstaltung zu erleben. Natürlich wissen wir, dass es – wie bei jeder Neulancierung – eine gewisse Zeit brauchen wird, um diese Messe nachhaltig zu positionieren. Die Industrialis  bringt mit ihrem Konzept sowie mit dem Standort Bern in der Mitte der Schweiz und an der Sprachgrenze sehr gute Voraussetzungen mit. Für uns ist der Herbsttermin der Messe wichtig, da wir uns so früh genug um die Nachwuchswerbung für das folgende Jahr kümmern können. Ein Messetermin im Frühjahr ist dafür zu spät. Ziel wäre es deshalb aus unserer Sicht, dass sich die MEM-Branche in dieser Messe zusammenfindet.

 

Wird es seitens Swissmechanic Aktivitäten zur Messe geben?

Wir haben einen Gemeinschaftsstand für unsere Mitglieder organisiert, an dem über 20 Firmen teilnehmen werden. Bereits daran erkennt man, wie wichtig wir die Messe nehmen und welche Bedeutung sie für uns auch in der Zukunft haben wird. Wir präferieren auf jeden Fall die Industrialis als kommende Leitmesse.

 

Damit ist ein Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit des neuen Swissmechanic-Direktors Jürg Marti bereits gesetzt. Welche weiteren Themen liegen Ihnen sonst noch am Herzen?

Mit seinen rund 1300 Mitgliedern, die rund 70 000 Mitarbeitende und 15 bis 20 Milliarden Franken BIP-Anteil repräsentieren, ist Swissmechanic ein volkswirtschaftliches Schwergewicht. Es wird eine meiner Hauptaufgaben sein, die Positionierung des Verbandes weiter zu festigen und auszubauen. Einerseits in Richtung politische Positionierung; andererseits, wenn es darum geht mit Veranstaltungen wie dem Business Day oder Weiterbildungsangeboten Networking-Plattformen für unsere Mitglieder zu etablieren. Einen weiteren Schwerpunkt sehe ich darin, das Gewicht und die Kraft von Swissmechanic zum wirtschaftlichen Vorteil der Mitglieder einzusetzen. Es existieren Überlegungen, ein Mehrwertpaket zu schnüren, das verschiedene Dienstleistungsaspekte umfasst wie Versicherungen, Nutzfahrzeugeinkauf oder Pooleinkauf von Rohmaterial, um unsere Mitglieder auf der Kostenseite zu entlasten; auch, um dadurch ein wenig den Druck der geringeren Margen zu mindern.

 

Eine allfällig etwas ketzerische Frage zum Abschluss: Wie jeder Dienstleistungs- und Kommunikationsanbieter stehen auch die Verbände unter zunehmendem Erwartungs- und Erfolgsdruck. Wie antwortet Swissmechanic auf diese Herausforderung?

Eine Begründung ist sicherlich, dass wir uns stark machen für eine Branche, die sonst kaum eine politische Lobby hätte. Wir können in diesen unruhigen Zeiten Anker und Kompass sein. Aber, Sie erkennen das zu Recht Herr Pittrich, wie jedes Unternehmen sind auch die Verbände vom aktuellen Strukturwandel tangiert. Ich habe, wie bereits ausgeführt, wenig Berührungsängste mit Veränderungen und sehe sie als Chance. Mit dem wirtschaftlichen Gewicht und der regionalen Verankerung ist Swissmechanic Veränderungstendenzen nicht einfach nur so ausgesetzt, sondern in der Lage, die Verbandslandschaft auch aktiv mitzugestalten. Sollten sich Möglichkeiten zu Partnerschaften ergeben, im Sinne unserer Verbandsstrategie und -politik, dann werden wir auch darüber diskutieren. Wir wollen wachsen, um der Branche weiterhin ein ruhiger Hafen in stürmischen Zeiten zu sein.

 

swissmechanic.ch