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«Die Maschinen werden immer schlauer»

Die Swissmem-Fachgruppe «Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik» feiert in diesem Jahr 75-jähriges Bestehen. Die «Technische Rundschau» nahm dieses Jubiläum zum Anlass, um mit Michael Hauser, Präsident der Fachgruppe, über die aktuellen Herausforderungen der Schweizer Werkzeugmaschinenbranche zu diskutieren.

Herr Hauser, bitte werfen Sie einen Blick zurück auf 75 Jahre Werkzeugmaschinenbau in der Schweiz.

Ich bin zwar noch keine 75 Jahre dabei (lacht), aber doch schon rund 30 Jahre in der Branche unterwegs. Deshalb kann ich eines mit Sicherheit sagen: Die Werkzeugmaschinenindustrie – obwohl sie bereits öfters totgesagt wurde – ist lebendiger denn je. Und es ist ein nachhaltiger Industriezweig, der Wertschöpfung generiert. Auf der anderen Seite war die Branche, vor allem in den letzten 20 Jahren, einem deutlichen Wandel unterworfen; die Stichworte dazu lauten China und Emerging Markets.

 

Wie meinen Sie das?

In diesem Zeitraum sind sehr viele Werkplätze aus Europa, auch aus der Schweiz, speziell nach China verlagert worden. Vor 20 Jahren hätte auch noch niemand gedacht, dass China einmal beim weltweiten Werkzeugmaschinenverbrauch die Nr. 1 sein wird.

 

Aber diese Entwicklung könnte man doch auch als Chance interpretieren; immerhin tun sich damit völlig neue Märkte auf.

Ja und Nein. Für die europäischen und damit auch Schweizer Werkzeugmaschinenhersteller hatte das Aufkommen des chinesischen Marktes fast schon einen Paradigmenwechsel zur Folge, wie und für welche Zielgruppe man Werkzeugmaschinen baut. In der Vergangenheit war man stolz darauf, eigentlich nur im Highend-Bereich tätig zu sein. Bei der asiatischen Kundschaft dagegen war die preiswerte Standardmaschine gefragt. Dieses Segment konnten wir damals gar nicht bedienen, sowohl vom Preis wie auch vom Volumen her gesehen. In diese Lücke sind dann japanische, koreanische und taiwanesische Hersteller gestossen und haben sich in Bezug auf das Chinageschäft deutlich besser positioniert. Die Folge war, dass ab Mitte der 2000-er Jahre die europäischen und auch Schweizer Hersteller ebenfalls in das Standardsegment investiert haben. Die aufkommende Dominanz des chinesischen Marktes ab der Jahrtausendwende hatte somit einen grossen Einfluss auf die Schweizer Werkzeugmaschinenbranche.

 

Mit positivem Ende, blickt man auf die heutige Situation.

Das stimmt. Wobei wir in der Schweiz noch eine weitere Herausforderung zu meistern hatten, nämlich den Höhenflug des Frankens. In den letzten zehn Jahren mit einem Gap von 20 bis 50 Prozent beim Erlös im Vergleich zum europäischen Wettbewerb leben zu müssen, dazu teilweise noch völlig neue Produkte und Vertriebskanäle zu generieren, das war für die Schweizer Werkzeugmaschinenindustrie ein Kraftakt. Aber trotz dieser Herausforderungen haben die Unternehmen ihre Hausaufgaben hervorragend gelöst. Heute ist die Schweizer Werkzeugmaschinenbranche im weltweiten Wettbewerbsvergleich sehr gut positioniert. Nicht nur, was die Produkte angeht, sondern auch, wie man sie produziert. Begriffe wie Lean Production, Automatisierung oder Fliessfertigung sind gelebte Realität.

 

Welche Rolle spielt in diesem Kontext die Swissem-Fachgruppe Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik?

Eine sehr wichtige. Die Fachgruppe als Zusammenschluss von Interessensgruppen adressiert Themen, die ein einzelnes Unternehmen kaum alleine bewerkstelligen könnte. Das reicht von der europäischen Gesetzgebung über sicherheitsrelevante Auflagen bezüglich CE-Konformität bis hin zur aktuell sehr brisanten Diskussion um Freihandel. Speziell wenn es um Handelsfragen oder Messethemen geht, ist die Fachgruppe für die Mitglieder, die ja bis zu 80 Prozent oder mehr exportorientiert sind, ein wichtiger Ansprechpartner. Ein weiterer fundamentaler Punkt ist die Auswertung von Statistiken, um die Unternehmen mit relevanten Marktzahlen zu versorgen und über volkswirtschaftliche Entwicklungen zu informieren. Generell gilt der Grundsatz: Gemeinsam sind wir stärker, um Interessen durchzusetzen und den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen.

 

Wobei wichtige Zukunftsthemen wie die Digitale Transformation bereits heute heftig an die Türe klopfen.

Nicht umsonst thematisiert unser Swissmem Symposium im August diese Aspekte unter dem Motto «MEM-Industrie im Wandel». Als Werkzeugmaschinenhersteller können wir der Digitalisierung durchaus folgen, was den Aspekt der Vernetzung angeht. Die Challenge lautet, Geschäftsmodelle dahinter zu entwickeln, um damit auch Geld zu verdienen. Wir können kein Interesse daran haben, dass grosse Telekom-Anbieter oder Internetgiganten die Cloud-Strukturen bereithalten und daran verdienen, während wir die Daten liefern und zusätzlich das Risiko tragen. In diesem Zusammenhang sind noch viele rechtliche, aber auch strukturelle Fragen offen. Hinzu kommt, dass die Frage der zukünftigen Rolle der Mitarbeiter zu klären sein wird. Wir erkennen bereits jetzt, dass in Zukunft immer weniger gut ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung stehen werden.

 

Was bedeutet dies für die Maschinenhersteller?

Die Maschinen müssen eigentlich immer schlauer werden, um die zunehmend komplexer werdenden Zerspanungsaufgaben meistern zu können. Deshalb ist das Thema Künstliche Intelligenz für uns so wichtig, weil dadurch die Werkzeugmaschine weniger Bedien-Know-how erfordert.

 

Heisst das, die zukünftige Werkzeugmaschinenentwicklung wird immer mehr von Software getrieben?

Es wird ein verstärktes Zusammenspiel mehrerer Diszi­plinen notwendig werden. Auf die Mechanik als Basis wird sicherlich nicht zu verzichten sein. Jedoch nehmen Sensorik und Softwareapplikationen einen immer grösseren Raum ein.

 

Physikalisch scheint die Werkzeugmaschine doch ausgereizt.  

Das hatte ich auch immer gedacht. Aber wenn man sich die Stückzeiten ansieht, die ein Drehzentrum heute erreicht, war das vor 20 Jahren noch undenkbar. Das Zusammenspiel von Maschinenkinematik, Werkzeug- und Spanntechnik sowie Automatisierung haben die Maschinen immer leistungsfähiger, schneller und effizienter gemacht. In Japan beispielsweise konnte ich mich persönlich davon überzeugen, wie völlig neue kinematische Konzepte, inspiriert aus dem Umfeld der Bionik, Maschinen in beeindruckender Weise bewegen können. Ich behaupte, das Ende der Fahnenstange ist hier noch lange nicht erreicht; auch und gerade wenn es um das Thema Automation geht.

 

Können Sie das ein wenig konkretisieren?

Aus Schweizer Sicht brauchen wir hier einfache Lösungen, die sozusagen per Plug and Play an die Maschinen gestellt werden können. Es gibt dazu bereits sehr pfiffige Ansätze; auch hier lohnt der Blick nach Japan. Fahrerlose Transportsysteme und kollaborierende Roboter übernehmen dort bereits den Transport von Werkstücken zu Stand-Alone-Werkzeugmaschinen oder in den Messraum. Das heisst: Der Automatisierungstrend geht dort eher in Richtung Optimierung der Infrastruktur und weniger in Richtung Be- und Entladen von Maschinen. Speziell beim Thema Cobots, also kollaborierende Roboter, erkenne ich viel Potenzial. Auch in Hinblick auf die Produktion, wenn ich an Leichtbau oder die mechanischen Getriebe dieser modernen Roboter denke. Die Zukunft des Werkzeugmaschinenbaus wird weiterhin sehr spannend bleiben.

 

swissmem.ch