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Das digitale Produktions-Puzzle

Ein wichtiger Schritt für die industrielle Massenproduktion war die Einführung der Fliessbandmontage im Automobilbau, denn sie erlaubt ein effektives Ineinandergreifen aller Elemente. Seither hat sich diese Produktionswelt stetig weiterentwickelt hin zu digitalisierten und algorithmisch optimierten Produktionsstrassen. Helmut Sedding, Wissenschaftler an der ZHAW School of Engineering am Institut für Datenanalyse und Prozessdesign, nennt in geraffter Form die wesentlichen Mechanismen.

Das Zeitalter der industriellen Massenproduktion machte mit der Einführung des Fliessbandes in der Automobilherstellung einen Sprung vorwärts und wurde mit der Gründung des heutigen Wirtschaftsingenieurwesens nach Taylor wesentlich vorangetrieben. Eine seiner wichtigsten Aussagen ist, dass Produktion und deren Planung als zwei getrennte Tätigkeiten aufzufassen sind. Während die Arbeiter sich auf einzelne Arbeitsvorgänge spezialisieren, legen die Planer fest, in welcher Geschwindigkeit, in welcher Bewegung und durch welchen Arbeiter oder durch welche Maschine ein Arbeitsvorgang zu vollziehen ist. Dies ermöglicht eine arbeitsteilige und effektive Massenproduktion, ineinandergreifend und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk.

 

Eine solche Durchtaktung wird auch heute genutzt, wenn eine grosse Zahl gleicher Produkte hergestellt werden soll. Beobachten konnte und kann man dies in den vergangenen Jahren an den erstaunlich hohen Produktionsvolumina von Elektronikgeräten wie dem Smartphone. Eine Herausforderung ist hier jedoch, dass die Gerätegenerationen schnell wechseln. Zusätzlich ist die Nachfrage oft nur schwer kalkulierbar und unterliegt starker Schwankung.

 

Die Produktion muss auf Änderungen also flexibel und rasch reagieren können. Da hierbei eine Vielzahl von Komponenten gleichzeitig betroffen ist, wird dafür allgemein die Unterstützung durch eine digitalisierte Produktionsplanung und -steuerung notwendig. Ein Positivbeispiel hierfür ist in der Fliessbandmontage des Automobils zu finden. Dort ist es eine Herausforderung, alle nötigen Arbeiten gleichmässig auf die Werker zuzuordnen. Diese sogenannte Fliessbandabstimmung zählt zu einem der ältesten kombinatorischen Optimierungsprobleme (siehe Salveson 1955 in «Journal of Industrial Engineering»). Mittlerweile gibt es hierfür aber ausgeklügelte Algorithmen; sie erlauben es, in Verbindung mit einer aktuell verfügbaren und akkuraten Datenbasis, rasch und zielgenau eine Fliessbandabstimmung umzusetzen.

 

Ein Einsatz solcher Algorithmen ist auch in anderen Szenarien durch die immer bessere Datenverfügbarkeit gegeben.

 

Wichtig ist dabei zuerst, die eigentlichen Fragestellungen zu identifizieren. Für diese ist eine adäquate Modellierung aufzubauen, die das Kernproblem umfasst und flexibel einsetzbar ist. Darauf passend gilt es dann, eine passgenaue, schnelle Algorithmik zu entwickeln. Ist es dann auch möglich, die nötigen Daten aktuell und genau zu erfassen, kann die Algorithmik entsprechende Handlungsempfehlungen ableiten. Diese können vom Planer dann genutzt und umgesetzt werden. Im Idealfall ergibt sich dadurch nicht nur eine schnellere Planung, sondern auch ein optimiertes Ergebnis.

 

Ein jüngst erschienenes Beispiel einer solchen Ergebnisoptimierung ist in der Materialplatzierung bei der Fliessbandmontage zu verzeichnen (siehe Sedding 2018 in «IISE Trans­actions»). Hier wird über die entstehenden Laufwege zur Materialholung entschieden. Bei einem grossen europäischen Automobilhersteller sind diese nicht unerheblich, sie liegen im Schnitt bei 15 Prozent der Gesamtarbeitszeit. Sie lassen sich verkürzen, indem das Material entlang des Fliessbandes optimiert platziert wird. Eine Herausforderung ist jedoch, dass sich das Fliessband stets fortbewegt: Dadurch verändern sich die Laufwege zwischen Arbeitspunkt und Material abhängig von der Zeit. Aus diesem Grund ist eine wegeoptimale Materialplatzierung entlang des Fliessbandes ein kombinatorisch schweres Problem; bereits bei zehn direkt nebeneinander gestellten Behältern gibt es 3,6 Millionen mögliche Anordnungen.

 

Eine auf das Wesentliche konzentrierte Modellierung ermöglicht es jedoch, suboptimale Fälle auch rechnerisch relativ zügig zu erkennen: Die dafür entwickelte Algorithmik findet üblicherweise eine Lösung in Sekundenschnelle. So kann sich ein Planer auf Wunsch rasch neue Platzierungsvorschläge erzeugen lassen und die Laufwege effektiv reduzieren. Simulativ konnten durch diese Optimierung die Laufwege von im Schnitt 15 Prozent auf zehn Prozent der Arbeitszeit reduziert werden. Dies ergibt bei einer typischen Montage mit 120 Werkern, mit einem Jahressalär von jeweils 0,1 M$, eine Reduktion der Arbeitskosten von über 0,5M$ jährlich; alternativ kann in der frei gewordenen Zeit mehr produziert werden.

 

Zusammenfassend ermöglicht eine Algorithmen-Unterstützung in der Produktionsplanung, auch bei kurzen Produktzyklen und wechselnder Nachfrage eine rasche Handlungsfähigkeit sicherzustellen.

 

zhaw.ch