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Ein Foto-Drache, der Leben rettet

Mit der stationären Drohne «Fotokite» will das Zürcher Start-up Perspective Robotics AG den Einsatz von Rettungskräften, speziell von Feuerwehren, revolutionieren: Das System erfasst mittels Wärmebild- und Normalbildkamera den Brandherd von oben und übermittelt exakte Bilder an die Bodenstation. Entworfen wurde die Rettungsdrohne mit der 3D-Software von SolidWorks.

Die Idee ist bestechend: Eine Wärmebildkamera wird mittels Drohne wie ein Kinderdrachen an einer Schnur über ein brennendes Haus positioniert. Die Feuerwehr kann nun den Brandherd und allfällig sich noch im Haus befindliche Personen genau lokalisieren und so die Brandbekämpfung optimal organisieren. Das Feuer ist deshalb schnell gelöscht, eingeschlossene Personen sind zügig gerettet und Rettungskräfte werden nicht in Gefahr gebracht. Der Foto-Drachen (Fotokite) der Perspective Robotics AG folgt genau diesem Prinzip.

 

Seit 2014 forscht und arbeitet das Zürcher ETH-Start-up im Escher Wyss-Quartier an der Umsetzung des Konzepts Fotokite. CEO und Gründer Chris McCall schwärmt für seine stationäre Drohne in den höchsten Tönen, da sie im Vergleich zu ihren freifliegenden Schwestern deutliche Vorteile bietet: «Wir können aufgrund der kabelgebundenen Energieübertragung praktisch unendlich lange in der Luft bleiben. Weil die schweren Batterien fehlen, sind wir auch recht sicher unterwegs. Zudem gibt es kein Problem mit Kollisionen, und wir steuern unsere Drohne unabhängig von Funknetzen.» (Siehe auch Interview am Schluss dieses Artikels).

 

Das Start-up, das noch eine Dependance im US-amerikanischen Syracuse, NY, unterhält, hat für seine Vision bereits einige Preise abgeräumt; unter anderem wurde man Sieger beim «European QPrize»-Award 2015 des Kommunikations- und Halbleiter-Spezialisten Qualcomm und 1. Preisträger des «Genius NY-Wettbewerbs 2018». Angezogen von diesem Erfolg haben auch Credit Suisse und die Sony Corp. unlängst einen siebenstelligen Betrag in das junge Unternehmen investiert. Jüngster Ritterschlag und bislang grösster kommerzieller Erfolg für die Drachen-Forscher ist die Integration des Fotokite-Models «Sigma» in die Löschgeräte von Pierce Manufacturing, einem der führenden nordamerikanischen Anbieter von Löschfahrzeugen.

 

Das Modell Sigma ist seit 2018 in der Erprobungsphase und besteht aus einer kofferartigen Bodenstation sowie einem Hexakopter, also einer Drohne mit sechs Rotoren. An Bord können sich sowohl eine Wärmebild- als auch eine normale Videokamera befinden. Die maximale Reichweite des Kabels beträgt 50 m. Gesteuert und kontrolliert wird das Fluggerät über ein Tablet. Ein grosser Vorteil der Fotokite-Drohnen ist, dass sie punktgenau auf der Bodenstation landen können. «Wir bieten also ein autarkes System», erläutert Chris McCall, «das überall und jederzeit einsatzbereit ist.»

 

Was im Prinzip so einfach klingt und auch so funktioniert – Groundstation-Koffer abstellen, Deckel auf, Motoren an, Höhe eingestellt und Drohne steigt nach oben – war in der Umsetzung durchaus ein wenig «tricky», wie es Fotokite-Gründer McCall ausdrückt. Nicht umsonst arbeiteten und arbeiten immer noch bis zu 30 Spezialisten im Drachenteam. Darunter befinden sich der Luft- und Raumfahrtingenieur aus Bayern genauso wie der IT-Nerd aus Israel oder der Robotikspezialist aus den USA. Gemeinsame Sprache ist Englisch, gemeinsame Konstruktionswelt ist SolidWorks.

 

«Diese 3D-Software ist sehr intuitiv zu bedienen», sagt Chris McCall. «Auch Kollegen, die noch nie damit gearbeitet haben, finden sich recht schnell zurecht.» Egal ob Carbon-Frame, Elektrik und Elektronik oder die Blechteile für die Aufhängung der Gimbal zur Bildstabilisierung der Kameras – alle Eigenentwicklungen wurden in SolidWorks konstruiert. Sehr speziell, erinnert sich Chris McCall, war unter anderem der Aufrollmechanismus der Spule für das Kabel, mit dem der Fotokite Kontakt zur Bodenstation hält. Dieses Kabel überträgt nicht nur die Energie zur Drohne, sondern sorgt auch für die notwendigen Steuerungsimpulse. Ein Drehgeber in der Spule ist dafür verantwortlich, die exakte Höhe zu bestimmen. Daher muss das Kabel absolut lagegetreu, also Strang für Strang nebeneinander, ab- und auch wieder aufgewickelt werden. Würden die Wicklungen ungeordnet übereinanderliegen, käme es sofort zu einer Verfälschung pro Umdrehung der Spule und damit von einigen Höhenmetern.

 

Während man in der Anfangsphase mit einem elektronischen System experimentierte, um die Genauigkeit der Wicklungen zu sichern, kristallisierte sich im Laufe der Zeit eine mechanische Lösung mithilfe eines speziellen Kugelgewindetriebs heraus. Dieser Gewindetrieb dreht zwar immer nur in eine Richtung, springt aber beim Erreichen des Spu­len­endes automatisch um und bewegt somit das Kabel wieder in die entgegengesetzte Richtung.

 

«Diesen sehr komplexen Mechanismus auf Basis einer Doppelhelix haben wir mit SolidWorks konstruiert», sagt Chris McCall. «Es war eines der aufwändigsten Systeme für die Groundstation.» Nicht umsonst wurde in diesem Entwicklungsstadium auch viel mit 3D-gedruckten Modellen gearbeitet, um zu testen ob das, was in SolidWorks entworfen wurde, auch in der Realität standhalten könnte.

 

Spürbare Erleichterung während des Entwurfsprozesses brachte auch die Simulationsfunktion: Die einzelnen Verbesserungsschritte konnten immer gleich in SolidWorks auf ihre Realisierbarkeit überprüft werden. «Wir haben unter anderem simuliert», so McCall, «was mit der Spule passiert, wenn sich beispielsweise die Übersetzung ändert. Für uns war dies sehr wertvoll, da wir so bestimmte Zusammenhänge besser verstehen lernten.» Genauso testete man das gesamte Spulensystem bevor es in die Produktion ging virtuell auf Herz und Nieren.

 

Bei einer weiteren Herausforderung, nämlich der Leichtbaukonstruktion der Drachen-Drohne, konnte SolidWorks ebenfalls punkten. Da der Korpus extrem gewichtsoptimiert angelegt ist («Ziel ist ein Gesamtgewicht von maximal 1 Kilogramm»), wurde jede konstruktive Änderung sozusagen auf die Waage gelegt. «Bei SolidWorks ist es recht einfach, zu jedem Bauteil sofort das entsprechende Gewicht zu ermitteln», erklärt McCall. «Das sparte uns sehr viel Zeit, da schnell ersichtlich wurde, wann eine Entwicklung gewichtsmässig aus dem Ruder lief.»

 

Auch beim letztlich zum Einsatz kommenden Carbon-Frame der Drohne leistete die 3D-Software wertvolle Hilfestellung. Carbon als anisotropes Material weist sehr komplexe Verhaltenscharakteristika auf. Deshalb konnten mit der FEM-Simulation in SolidWorks recht schnell erste Abschätzungen vorgenommen werden, ob ein neuer Entwurf auch den statischen Anforderungen standhalten würde.

 

Und noch eine Funktionalität hat den findigen Neuunternehmer überzeugt: Viele User können, dank des Produktdaten-Managements, parallel an einem Projekt arbeiten, ohne dass Chaos ausbricht. Gerade bei Start-ups, wo sehr viel Tag und Nacht in Bewegung ist, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Zwar standen die ungefähre Form und die Funktionsweise der Drohne bereits frühzeitig fest. Aber weil fast täglich Optimierungen vorgenommen wurden, änderten sich auch permanent konstruktive Details wie Lichtmasse, Abstände und Durchmesser von Bohrungen oder Abstandsmasse von Befestigungspunkten.

 

Der zentrale Datentresor von SolidWorks hilft Fotokite dabei, die Konstruktionsdaten jederzeit unter Kontrolle zu halten: Die CAD-Daten werden alle in einem zentralen, sicheren Tresor gespeichert. Zugriffsrechte gewährleisten, dass die richtigen Anwender zur richtigen Zeit Zugriff auf die Daten erhalten. Versionskontrollen stellen sicher, dass alle Beteiligten mit der aktuellen Version arbeiten, so dass keine Fehler auftreten oder Nacharbeiten aufgrund veralteter Versionen am 3D-Modell nötig sind. So ist es beispielsweise möglich, finale Zwischenversionen zu definieren, ohne mit dem Verbessern aufzuhören.

 

Der einzelne Konstrukteur könne sogar, erläutert Chris McCall, eigene Komponenten aus der Gesamtkonstruktion herausnehmen, für sich optimieren und dann wieder ins System zurückspielen. Auch hier ist immer nachvollziehbar, wer was und wie geändert hat: «Das macht das Arbeiten mit SolidWorks so einfach, obwohl es sehr komplex ist, wenn mehrere Mitarbeiter gleichzeitig so intensiv an einem Objekt arbeiten, wie das bei uns geschieht.»

 

Die Arbeitsweise eines Start-ups war auch für das betreuende Systemhaus Solid Solutions AG eine erfrischende Erfahrung. «Wir mussten flexibler agieren als beispielsweise bei einem etablierten Unternehmen», weiss Michael Stadler, Sales Engineer bei Solid Solutions. «Die Prozesse sind hier wesentlich dynamischer.» Dynamisch auch im Sinne von flexibleren Arbeitszeiten bis in die Nacht oder die Hilfe zur Selbsthilfe. So wurde seitens Perspective Robotics auch die grosse SolidWorks-Community, beispielsweise einschlägige User-Foren, genutzt, um sich zu informieren. Nicht umsonst sieht man beim Zürcher Systemhaus die bisherige Zusammenarbeit mit dem Drohnen-Start-up auch als Investition in die Zukunft. In einer ersten Phase bietet man jungen Firmengründern besondere Start-up Konditionen. Das zahlt sich aus, sobald die Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich sind.

 

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