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Technische Rundschau

Rückblick auf das 20. Swissmem Symposium 2022

V. l. n. r.: Christoph Blättler (Ressortleiter Industriesektoren, Swissmem), Reto Lipp (Moderator bei SRF) und Christoph Rennhard (Inhaber und CEO der LCA Automation) schneiden zum 20. Swissmem Symposium gemeinsam die Geburtstagstorte an.
Bild: Stefan Kubli

Jubiläen haben die Tendenz, nur die Vergangenheit darzustellen und diese zu überhöhen. Das 20. Swissmem Symposium am 25. August im Lake Side Zürich konnte diese Klippe von Beginn weg umschiffen. Zurückschauen ja, aber nur um zu analysieren und Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Einzelne Themen zogen sich wie ein roter Faden durch den gesamten Anlass. Es waren dies Agilität, Digitalisierung, Fachkräftemangel, Internationalisierung und Nachhaltigkeit. Unter dem Strich war man sich einig: Die industrielle Produktion in der Schweiz hat Zukunft.

Gleich zu Beginn des 20. Swissmem Symposiums brach Martin Hirzel, Präsident Swissmem, bezüglich der Kernfrage des Tages das Eis: «Die Deindustrialisierung der Schweiz fand trotz mehrerer Krisen nicht statt – im Gegenteil.» Tatsächlich sind die industrielle Wertschöpfung und die Produktivität in den vergangenen 20 Jahren in der Schweiz teils massiv gestiegen. Die Unternehmen haben sich in den Krisen stets agil, innovativ und anpassungsfähig gezeigt. Hirzel ist überzeugt: «Die Industrie in der Schweiz verfügt über ein enormes Zukunftspotenzial.» 

Klaus W. Wellershoff, CEO & Verwaltungsratspräsident Wellershoff & Partners Ltd., sprach ein grosses Lob aus: «Die Schweizer Industrie hat fantastisch gearbeitet. Die letzten Jahre, so schwierig wie sie waren, sind eine Erfolgsgeschichte.» Die Wachstumsraten werden allerdings in den nächsten Jahren global eher schwach ausfallen. Die Hauptgründe dafür sind auslaufende Corona-Fördermassnahmen und steigende Zinsen. Auch ist die Konsumentenstimmung derzeit im Keller. Unausgesprochen deuten die Aussagen von Wellershoff darauf hin, dass es zu einer Rezession kommen könnte. 

Ähnlich sieht es auch Jeremy Leonard, Managing Director of Global Industry Services, Oxford Economics Ltd. Die Performance der Schweizer Industrie war in den vergangenen fünf Jahren deutlich besser als erwartet, die Frankenstärke kein Hindernis. «Eine schwache Währung macht die Industrie nicht wettbewerbsfähiger, sondern nur billiger», sagte Leonard. Die Frankenstärke hat die Industrie nach 2015 gezwungen, die Produktivität mittels Automatisierung stark zu verbessern. Die höhere Produktivitäts hat die Nachteile des starken Frankens mehr als kompensiert. Hinsichtlich der Zukunft zeigte sich Leonard optimistisch: «Das verarbeitende Gewerbe in der Schweiz wird voraussichtlich doppelt so schnell wachsen wie das im übrigen Europa und seinen Anteil an der Schweizer Gesamtwirtschaft erhöhen.» 

Agilität und digitale Transformation

Ohne Zweifel leben wir in einem Umfeld von zunehmender Komplexität, Volatilität und Unvorhersehbarkeit. Deshalb war Agilität einer der meistgenannten Begriffe des 20. Swissmem Symposiums. So auch im Beitrag von Yvonne Bettkober, General Manager, Amazon Web Services Schweiz und Österreich. Sie rief dazu auf, die unternehmerische Resilienz zu stärken: Neue, oft sehr schnelle und grundlegende Veränderungen werden die Firmen ständig herausfordern. Um in diesem Umfeld erfolgreich zu bleiben, braucht es eine höhere organisatorische Agilität und eine grössere Innovationsfrequenz. Digitale Werkzeuge und generell Technologie können bei dieser «Fitnesskur für das Unbekannte» unterstützen. 

Liebeserklärung an die Fertigung

Die wichtige Rolle der Fertigung für eine Volkswirtschaft hob Konrad Wegener, Institutsvorsteher IWF Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigung, ETH Zürich, hervor. Er verwies darauf, dass der Wohlstand wesentlich von der Fähigkeit abhängt, Produkte zu entwickeln und herzustellen. Die Fertigung bildet auch die Grundlage für den Weg zur Dienstleistungsgesellschaft. Mit dem Aufkommen des Internets und des Online-Handels ist die Bedeutung der Fertigung etwas in Vergessenheit geraten. Oft wird nur gesehen, dass Online-Giganten mit Daten unermessliche Gewinne machen. Im Gegensatz dazu erscheint die Fertigung von Produkten als nebensächlich. Wegener betont aber, dass Dienstleistungen oft direkt an ein Produkt geknüpft sind. Für ihn ist deshalb klar: «Eine Produktidee ohne die fertigungstechnischen Möglichkeiten ist für die Tonne. Ohne Produktionstechnik kein Hightech.» 

Ohne Fachkräfte keine erfolgreiche Industrie

Neben einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehen Kareen Vaisbrot, Mitglied der Geschäftsleitung Swissmem, und Sandra Forster-Bernacchia, Chief Human Resources Officer von V-Zug AG, drei Wege, um den Fachkräftemangel zu mildern: Erstens müssen sich Mitarbeitende lebenslang fortbilden, um möglichst lang im Arbeitsprozess bleiben zu können. Zweitens muss die Automatisierung und Digitalisierung weiter vorangetrieben werden, damit sich der Fachkräftemangel entschärft und drittens sind auch vonseiten Politik Lösungen gefragt. Die Individualbesteuerung würde beispielsweise für Frauen Anreize schaffen, mehr zu arbeiten.

Wunsch und Realität bei der E-Mobilität

Beim Blick in die Zukunft darf das Thema Elektromobilität nicht fehlen. Stephanie Schliffski, Managing Director StratMa International Sarl, rief dem Publikum in Erinnerung, dass in der EU ab 2035 nur noch klimaneutrale Neuwagen verkauft werden dürfen. Die Fahrzeughersteller richten derzeit ihre Strategien ganz darauf aus. Für Schliffski stellt sich die Frage, ob es realistisch und sinnvoll ist, auf rein batteriebetriebene Fahrzeuge umzustellen. Klar ist, dass die heutige Ladeinfrastruktur unzureichend ist. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob es genügend Rohstoffe für eine vollständig batteriebetriebene E-Mobilität gibt. Zwischen Wunsch und Realität klafft deshalb eine grosse Lücke.

Und was sagen die Industrieunternehmen?

Die Corona-Pandemie hat dem gut geölten System globaler Lieferketten einen Dämpfer versetzt. Die Unternehmen haben mit Lieferengpässen zu kämpfen, die durch Produktionsausfälle bei Lieferanten oder durch Probleme in der Logistik verursacht wurden. Für Alex Waser, CEO Bystronic AG, liegen die Ursachen für diese Störungen nicht nur in der Pandemie, sondern auch in politischen Entscheidungen und klimabedingten Naturkatastrophen. Der strategische Fokus der Bystronic AG ist deshalb auf nachhaltige Produkte, Dienstleistungen und Geschäfts­modelle sowie eine gezielte Internationalisierung ausgerichtet. «Local-for-Local» schafft einen Mehrwert für lokale Kunden und auch Wachstum. Die Internationalisierung reduziert die Abhängigkeiten von einzelnen Märkten, steigert die Resilienz der Lieferketten, verbessert die Klima­bilanz und erhöht lokal den Kundennutzen. Der wichtigste Erfolgsfaktor zur Digitalen Transformation ist und bleibt der Mensch. Digitale Dienstleistungen sind nur dann erfolgreich, wenn sie relevant und sinnvoll für die Kunden sind.

Bei GF Machining Solutions sichert die digitale Transformation gemäss Andreas Rauch, Head of Digital Business, primär das klassische Hardware-Business und ermöglicht neue Lösungen in verschiedenen Produktgruppen. 

Für Christoph Rennhard, Inhaber und CEO der LCA Automation AG, sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren kompetente und zufriedene Mitarbeitende sowie die Fähigkeit, wachsende und rentable Nischenmärkte zu identifizieren. Ein spannendes Potenzial für sein Unternehmen sieht Rennhard in der Automatisierung von Lowtech-Arbeiten. Dafür findet man in Branchen wie der Bau- und Landwirtschaft kaum mehr Fachkräfte. Wenn die Automatisierung gelingt, schafft man einen Mehrwert für den Kunden.

Die Zukunft liegt in Asien

Zum Abschluss des 20. Symposiums versuchte der Publizist Urs Schoettli dem Publikum, die aktuelle Lage in und um China näher zu bringen. Er unterstrich: «Europa verkennt, dass heute die wichtigen Entscheidungen nicht mehr in New York, London und Frankfurt, sondern in Tokio, Peking und Mumbai getroffen werden. Wenn der Westen die Werte und Mentalität der Chinesen nicht versteht, wird er verlieren.» Sanktionen hält er für wirkungslos: «Für China ist Gesicht wahren genauso wichtig, wie Gesicht geben.» Deshalb sei es für Chinesen schwierig, Niederlagen einzugestehen. China hat in der Vergangenheit viel Mist gebaut», sagte Schoettli. «Aber jetzt sind sie wieder wer. Das soll man anerkennen.» An die Schweizer Industrie gerichtet, rät Schoettli: «Es ist Zeit, zu diversifizieren. Indien ist eine interessante Alternative».

swissmem.ch