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Technische Rundschau

Swissmem Symposium: Komplexe Gemengelage

Das 18. Swissmem Symposium vom 27. August stand unter dem Motto «Dekarbonisierung». Es vermittelte Fachwissen zu diesem Thema und zeigte mit Praxisbeispielen Lösungswege auf. Beim Organisator Swissmem war man froh, dass man den Event im Lake Side Zürich als Präsenzveranstaltung durchführen konnte – allerdings unter strengen Schutzmassnahmen wegen der Corona-Pandemie. Diese war indirekt das zweite grosse Thema auf dem Symposium. Die Analyse der Halbjahreszahlen der MEM-Branche, die massiv von den Folgen der Pandemie geprägt sind, lässt nur eine Diagnose zu: Die Lage ist momentan düster.

 

Die Industrie spielt eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung. Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher machte dies in seinem Eröffnungsreferat deutlich, in dem er eine Studie von VDMA und Boston Consulting Group (BCG) zitierte. Diese kommt zum Schluss, dass mit dem Einsatz von Technologien aus dem Maschinenbau jährlich rund 30 Gigatonnen CO2 eingespart werden können. Das entspricht den globalen CO2-Emissionen von 2006. Der Schweizer Forschungs- und Innovationsstandort biete eine ausgezeichnete Grundlage für die Unternehmen, um dieses Potenzial erfolgreich anzugehen. Dies belegt auch der Energy Transition Index des WEF, der die Fähigkeit von Ländern hinsichtlich einer erfolgreichen Transformation der Energiewirtschaft bewertet und die Schweiz auf Platz 2 sieht. Auf politischer Ebene ist es für Stefan Brupbacher zentral, dass mit einem CO2-Preis auf Brenn- und Treibstoffe Kostenwahrheit geschaffen wird, denn nur so hätten die verschiedenen neuen Technologien gleiche Wettbewerbsbedingungen.

Beispielloser globaler Konjunktureinbruch

Bevor sich dann die rund 150 Branchenvertreterinnen und -vertreter im Saal dem Leitthema widmen konnten, gab es erst einmal noch Schwerverdauliches zu schlucken in Form der Präsentationen von Martin Neff, Chefökonom der Raiffeisen Gruppe, und von Josua Burkart, Geschäftsführer der HPO Forcasting AG.

Der etablierten Tradition im Programm der Veranstaltung folgend lieferten die beiden Wirtschaftswissenschaftler in ihrem jeweiligen Referat die Analysen der gegenwärtigen ökonomischen Situation und ihre Prognosen. Dabei gab es wenig Erfreuliches zu berichten. Fest steht, dass der Konjunktureinbruch 2020 ein historisches Ausmass hat. Ansonsten bleibt laut Martin Neff auch ein halbes Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie viel Unsicherheit. Es sei nicht klar, wann und ob die Wirtschaft wieder einigermassen auf «Normallast» laufen werde. Die Schweiz stehe aber noch vergleichsweise gut da. Dies gilt in seinen Augen einmal für die Industrie, die mit Wandel umzugehen gelernt hat. Zum andern hält sich durch die Kurzarbeitsentschädigungen sowie die Not- und Überbrückungskredite der Schaden aktuell in Grenzen. Nichtsdestotrotz würden letztere in erster Linie den freien Fall dämpfen und vermöchten wohl kaum die Konjunktur zu stimulieren.

Josua Burkart nahm Bezug auf die Prognosen der letzten zwei Jahre, die bereits erste Anzeichen für eine Abschwächung der Konjunktur enthielten. Ohne Corona wäre wohl alles halb so schlimm, hielt er fest, aber trotzdem schmerzhaft. Burkart geht davon aus, dass die Industrieproduktion Europas voraussichtlich Ende Jahr zurück auf das Level der Langfristprognose findet, dass es also nach dem brutalen Absturz zu einer gewissen Erholung komme. Diese Kurve werde aber wohl bald wieder abflachen.

Wasserstoff, Sektorkopplung und Kreislaufwirtschaft

Jetzt werfen wir einen Blick auf die Beiträge zum Hauptthema des Symposiums, die Dekarbonisierung.
Gemäss Daniel Hofer, Präsident Avenergy, stehen die Zeichen gut, dass sich Wasserstoff als Treibstoff etablieren kann und ergänzend zu anderen Technologien im sauberen Verkehr der Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Denn verschiedene Antriebsarten decken laut Hofer unterschiedliche Kundenbedürfnisse ab. Gegenüber der Batterie bietet Wasserstoff als Energiespeicher wesentliche Vorteile. Dazu zählen die höhere Reichweite, die kurze Betankungszeit und das geringe Gewicht des Energiespeichers Wasserstoff. Avenergy engagiert sich im Förderverein H2-Mobilität Schweiz, der diese Entwicklung vorantreibt. Die Mitglieder betreiben allein in der Schweiz mehr als 2000 Tankstellen und setzen über 4000 schwere Nutzfahrzeuge ein. Das versetzt sie in die Lage, Wasserstofftankstellen in eigener Regie zu realisieren und den Fahrzeugpark schrittweise auf diese neue Technologie umzustellen.

Für Professor Markus Friedl von der OST Ostschweizer Fachhochschule, wie sich seit dem 1. September der Zusammenschluss der drei Fachhochschulen FHSt.Gallen, HSRapperswil und NTBuchs nennt, ist diese Transformation – für die er den Begriff Defossilisierung treffender findet als Dekarbonisierung, da es um die Reduktion der Verbrennung von fossilem Karbon geht – mit vielen Unbekannten behaftet: Zahlreiche politische und regulatorische Randbedingungen sowie die genaue Rolle der verschiedenen Technologien sind noch unklar. Trotzdem zeichnen sich aus seiner Sicht einige Entwicklungen ab, die verfolgt werden müssen: Sektorkopplung, Elektrifizierung, Wasserstoff, Methan und Digitalisierung. Friedl ist sich sicher, dass  sich mehrere Technologien parallel etablieren werden. Und er betonte, wer jetzt investiere, sich an Projekten beteilige und Erfahrungen sammle, entdecke auch neue Tätigkeitsfelder und Geschäftsmodelle und könne so die Rahmenbedingungen mitgestalten.

Auch für das Unternehmen MAN Energy Solutions und dessen Managing Director Patrik Meli ist klar, dass für den Weg in eine klimaneutrale Weltwirtschaft eine Kopplung der Sektoren wie Elektrizität, Verkehr sowie Wärme- und Kälteversorgung unerlässlich ist. Er zeigte auf, wie sein Unternehmen gemeinsam mit ABB eine neuartige Speicherlösung vorangetrieben hat: Electro-Thermal Energy Storage (ETES) ist laut Meli das einzige existierende System, welches es erlaubt, Elektrizität, Wärme und Kälte gleichzeitig zu nutzen, zu speichern und zu verteilen (siehe auch Interview «Technische Rundschau», Ausgabe Mai 2020, Seite 6).

Stéphane Piqué, Leiter Industry X.0 Schweiz, Accenture AG, unterstrich in seiner Präsentation ebenfalls, dass die Unternehmen mit ihren Innovationen eine aktive und wichtige Rolle beim Wandel des Energiesystems spielen können und neue Formen der Wertschöpfung entwickeln sollen. Voraussetzung hierfür sei, dass man sich nicht mehr an einem linearen und isolierten Wirtschaftssystem orientiere, sondern die Chancen und Geschäftsmöglichkeiten in der Kreislaufökonomie wahrnehme. Der Einsatz disruptiver und intelligenter Technologien beschleunige den Wandel zur Kreislaufwirtschaft vom Produktdesign bis zum Produktlebensende. Er riet den Unternehmen, zunächst auf das Kerngeschäft zu fokussieren und hier mit der Transformation zu beginnen. Es sei wichtig zu verstehen, wie die eigenen Produkte beim Kunden eingesetzt werden, um diese Produkte verbessern zu können.

Welchen Beitrag der traditionelle Maschinenbau zur Energiewende leisten kann, verdeutlichte Luzi Valär, Vice President Research and Development bei der Burckhardt Compression AG. Die Technologie der Kolbenkompressoren ist nämlich weit über 100 Jahre alt. Nun funktioniert die Nutzung von Wasserstoff als Treibstoff oder als Energiespeicher nur, wenn die Energiedichte des Wasserstoffs erhöht wird. Und hier kommen die Kolbenkompressoren von Burckhardt Compression ins Spiel, weil diese für eine effiziente Verdichtung von grösseren Mengen an Wasserstoff geradezu prädestiniert sind (siehe auch Interview «Technische Rundschau» Ausgabe Juli 2020, Seite 6).

Pumpen können ebenfalls einen erheblichen Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen leisten, wie Francis Krähenbühl, CEO der Emile Egger & Cie SA, eindrücklich aufzeigte. Besonders vielversprechend erscheint ihm, das aus dem industriellen Prozess entweichende Gas durch mikrobielle Fermentation in Ethanol umzuwandeltn, das dann wiederum als Treibstoff verwendet werden kann. Eine erste Anlage in einem Stahlwerk in China wandelt bereits jetzt mit Pumpen von Egger jährlich 85 000 Tonnen CO2 in 46 000 Tonnen Ethanol um. Allein das jährliche Potenzial für die Stahlindustrie entspreche laut Krähenbühl 155 Millionen Tonnen absorbierter CO2-Emissionen.

Den Schlusspunkt setzte das Referat von Daniel Egger, Head Marketing & Sales Climeworks. Da die Emission von CO2 wohl nie völlig vermieden werden könnten und gleichzeitig dennoch das Netto-Null-Ziel angestrebt wird, kommt er zum Schluss, dass auch Technologien entwickelt werden müssen, die den Kreislauf schliessen und CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Direct Air Capture von Climeworks filtert dieses mit Maschinen aus der Luft. Das CO2 wird anschliessend teilweise weiterverwendet, zum Beispiel in der Getränkeindustrie oder indem es in Treibstoffe umgewandelt wird. Der Rest wird unterirdisch im Gestein gespeichert. Laut Egger können aktuell auf diese Weise ein paar Tausend Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft gefiltert werden. Er wisse, dass dies nicht reiche, um den Klimawandel zu stoppen. Doch mit einer weiteren Skalierung der Technologie und den richtigen politischen Rahmenbedingungen bestehe ein äusserst vielversprechendes Potenzial.

Analyse der Halbjahreszahlen von Swissmem

Kommen wir zurück zu den eingangs angesprochenen Kennzahlen der wirtschaftlichen Entwicklung in der Schweizer Wirtschaft in diesem Jahr und insbesondere zu denjenigen der MEM-Industrie. Tatsache ist – dies ergeben die Analysen des Verbandes selbst vom 26. August – dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie in der MEM-Industrie zu einem massiven Einbruch geführt haben. Die im Zuge der Corona-Pandemie verordneten, fast weltweiten Lockdowns beeinträchtigen die Schweizer MEM-Industrie in hohem Masse. Im zweiten Quartal 2020 sanken die Auftragseingänge gegenüber der Vorjahresperiode im Durchschnitt um -19,5 Prozent. Über das gesamte erste Halbjahr 2020 gesehen nahmen die Bestellungseingänge um -10,2 Prozent ab. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Umsätzen. Diese brachen im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahresquartal um -19,7 Prozent ein. Im gesamten ersten Halbjahr reduzierten sie sich um -12,9 Prozent. Grossfirmem und KMU erfuhren im Durchschnitt denselben Einbruch. Die einzelnen Firmen seien allerdings je nach Marktsegment sehr unterschiedlich betroffen, heisst es von Seiten der Swissmem.

Die negative Entwicklung wirkt sich auch auf die Kapazitätsauslastung in den Betrieben aus. Diese betrug im zweiten Quartal 2020 lediglich 80,9 Prozent, was deutlich unter dem langjährigen Mittelwert von 86,4 Prozent lag. Gemäss der jüngsten KOF-Umfrage erreichte sie im Juli noch 77 Prozent. Damit ist die Kapazitätsauslastung auf das Niveau der Finanzkrise von 2009 abgesunken.

Im zweiten Quartal 2020 arbeiteten 319 600 Personen in der MEM-Branche. Das sind 3200 weniger als im ersten Quartal. Der Grund für diesen Rückgang liegt jedoch eher darin, dass die Lage in den MEM-Firmen bereits vor dem Lockdown angespannt war und diese Stellen abzubauen begannen. Die Auswirkungen der Pandemie werden aber laut Swissmem in den kommenden Monaten zweifellos weitere Konsequenzen auf die Anzahl Mitarbeiter in der MEM-Branche haben.

Stabilisierung auf tiefem Niveau

Schon vor der Corona-Pandemie war die Situation laut dem Verband in der MEM-Industrie angespannt. Die Folgen des Lockdowns haben den negativen Trend jedoch noch massiv verstärkt. Seit der Trendumkehr im Jahr 2018 haben sich Auftragseingänge in der MEM-Industrie nun bereits in acht aufeinander folgenden Quartalen negativ entwickelt. Wie dramatisch der gesamte Einbruch ausfällt, zeigt der Indexstand bei den Auftragseingängen: Seit Mitte 2018 hat die Branche 35,1 Prozent des Auftragsvolumens verloren. Bei den Auslandsaufträgen, welche derzeit 75 Prozent des Gesamtbestandes ausmachen, liegt das Volumen aktuell sogar um 42,6 Prozent tiefer als Mitte 2018. Erschwerend kommt hinzu, dass der Euro gegenüber dem Schweizer Franken nach wie vor deutlich unterbewertet ist. Neu ist auch der US-Dollar in den letzten drei Monaten gegenüber dem Franken eingebrochen. Beides drückt stark auf die Margen der Unternehmen. 

Der kurzfristige Ausblick lässt laut Swissmem auch wenig Optimismus zu und ist von grossen Unsicherheiten geprägt. Der Anteil der MEM-Unternehmerinnen und -Unternehmer, die in den kommenden zwölf Monaten mit steigenden Aufträgen aus dem Ausland rechnen, hat zwar von 10 Prozent im ersten Quartal auf jüngst 22 Prozent zugenommen. Dem gegenüber befürchten aber noch immer 51 Prozent der Unternehmer eine weitere Verschlechterung der Auftragslage (Q1/2020: 70 Prozent).

Ein Lichtblick bietet der Einkaufsmanagerindex (PMI). Dieser hat sich in der Industrie weltweit etwas erholt. Nach dem dramatischen Einbruch im Frühling bedeuten die aktuellen PMI-Werte primär eine Stabilisierung auf tiefem Niveau und versprechen noch keine grosse Wachstumsdynamik. Stefan Brupbacher, Direktor von Swissmem, ist jedenfalls sehr besorgt: «Die Lage in der Schweizer MEM-Industrie präsentiert sich düster, und in vielen Absatzmärkten herrscht grosse Unsicherheit. Mit einer schrittweisen Erholung ist für die meisten Firmen erst im Laufe des nächsten Jahres zu rechnen. Die Art der Erholung dürfte sich je nach Ausgangslage, Absatzmärkten und –segmenten sehr unterschiedlich gestalten. Die Betriebe sind somit gezwungen, ihre Kostenbasis den neuen Realitäten anzupassen. Entsprechend befürchten wir in den nächsten zwölf Monaten einen deutlichen Stellenabbau.»

Im Zuge der Corona-Pandemie kommt der Belastbarkeit von Lieferketten eine zusätzliche Bedeutung zu. Die Industrieunternehmen überprüfen diese zurzeit weltweit. Hier hat die Schweizer MEM-Industrie einen wichtigen Trumpf in der Hand. Sie hat bewiesen, dass sie die Corona-Schutzkonzepte konsequent anwenden kann. Dieses Wissen muss in die Diskussion um Gegenmassnahmen mit einbezogen werden. Brupbacher meint dazu: «Ein klares Bekenntnis von Bund und Kantonen, dass hier tätige Industriebetriebe auch bei einer erneuten Verschärfung der Corona-Pandemie weiterproduzieren können, wird international gehört. Das stärkt unsere Betriebe sowie den Standort Schweiz in der laufenden Überprüfung der internationalen Lieferketten.»

swissmem.ch